Migration: Eltern suchen nach dem Coach
Migranten kümmerten sich nicht genug um ihre Kinder - bei der Debatte über Jugendkriminalität fehlt diese Behauptung fast nie. Dabei suchen viele Eltern längst Unterstützung - oft jedoch erfolglos.
Handgeschriebene Plakate und Merkzettel zieren die Gänge des Bosnisch-Islamischen Kulturzentrums in der Kreuzberger Adalbertstraße. Thema der Wandzeitung: Erziehung. "Für die Eltern und Kinder unserer Gemeinde ist das Thema sehr wichtig", sagt Meho Travljanin.
Der 25-jährige Wirtschaftsstudent ist ehrenamtlicher Helfer im Kulturzentrum, unter anderem gibt er dort Nachhilfe. Die Lebensbedingungen der Berliner BosnierInnen, zumeist Kriegsflüchtlinge, trieben einen Keil zwischen Eltern und Kinder, sagt er: "Während die Kinder voll integriert sind und gut Deutsch sprechen, haben die Eltern Probleme mit dem neuen Leben." So könnten sie etwa wegen mangelnder Deutschkenntnisse nicht an Elternabenden mitwirken.
Auch ihre Rolle als Vorbild könnten viele Eltern aufgrund ihrer schlechten sozialen Lage kaum erfüllen. "Die Konsequenz: Kinder kapseln sich ab", so Travljanin. Eltern müssten deshalb lernen, die neue Lebensweise ihrer Kinder zu akzeptieren: "Sie müssen sich mehr mit ihnen beschäftigen." Das Kulturzentrum will ihnen dabei helfen: "Sie sind ja keine schlechten Eltern", sagt Travljanin. Aber sie bräuchten Hilfe. Diese Arbeit leistet das Kulturzentrum ehrenamtlich und aus eigener Kraft - staatliche Unterstützung gibt es nicht.
"Wir brauchen Hilfe bei der Erziehung unserer Kinder" - diese Feststellung machten arabische Eltern in Neukölln bereits vor fünf Jahren. Und luden die damalige Justizsenatorin Karin Schubert (SPD) zum Gespräch in den Verein Al-Huleh ein. Die kam auch. Doch um Unterstützung für Eltern kämpft der Verein, der Nachhilfe, Deutsch- und Arabischkurse anbietet, noch heute: "Wir haben 2006 ein Projekt beantragt", erzählt Ghazi El-Ali von Al-Huleh. "Eltern entdecken Deutschland" heißt das von ihm entwickelte Konzept, das Informationsveranstaltungen, Museumsbesuche und Ausflüge in andere Städte beinhaltet. "Viele Eltern wissen über Deutschland und sogar über Berlin beinahe gar nichts", so El-Ali. Das soll sich ändern, damit "das Interesse der Eltern an Integration geweckt und so die Erziehung der Kinder entwickelt wird". Bewilligt wurde das Projekt bislang nicht. "Wir werden den Antrag aber wieder einreichen", sagt El-Ali.
Wie groß der Wunsch arabischer Eltern nach Hilfe und Unterstützung bei der Erziehung ist, weiß auch Mahmoud El-Hussein von der Arabischen Elternunion. Die bietet in Wedding, Kreuzberg und Neukölln Mütter- und Vätergruppen sowie Deutschkurse für Eltern an - überwiegend ehrenamtlich, da staatliche Finanzierungen ausgelaufen sind oder nie existiert haben. "Wir brauchen dringend mehr Angebote", sagt Mahmoud El-Hussein. "Der Bedarf ist riesig."
Ein wenig rosiger stellt sich die Lage für Eltern türkischer Herkunft dar. Der Türkische Elternverein Berlin existiert seit 1985 und bietet seit fast zwanzig Jahren Beratung für Eltern und Nachhilfe an - mit finanzieller Unterstützung des Senats. Seit kurzem schließt der Verein überdies direkte Kooperationen mit Schulen ab, die Beratung und Betreuung von LehrerInnen und Eltern, aber auch Familienbesuche beinhalten. Die Idee zu dieser aufsuchenden Beratung hat der Elternverein bereits 1999 entwickelt. Bewilligt wurde das Projekt vor zwei Jahren.
"Das ist eine sehr personalintensive Arbeit", sagt Safter Cinar, ehemaliger Vorsitzender des Türkischen Elternvereins und heute Sprecher des Türkischen Bundes Berlin (TBB). Der Senat finanziert das Projekt mit zweieinhalb Stellen. Für das neue "Elternlotsen"-Projekt des TBB, bei dem türkischsprachige Frauen und Männer zu HelferInnen für Familien ausgebildet werden, wurden vier Stellen bewilligt. Zu wenig? Das Problembewusstsein und die Bereitschaft zum Handeln in der Politik seien gestiegen, formuliert Safter Cinar behutsam. Es sei doch erfreulich, wenn nun auch der Innensenator feststelle, dass Investitionen in Elternhilfe sich lohnten.
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