Migration: Krank ohne Namen
Rund 4.000 bis 5.000 Menschen ohne Papiere werden jährlich in Berlin behandelt. Das zeigt eine neue Befragung von Ärzten. Viele Illegale suchten erst spät Hilfe.
Wie können Ressourcen armer Menschen verbessert werden? Diese Frage steht im Mittelpunkt des Kongress' "Armut und Gesundheit" im Rathaus Schöneberg am Freitag und Samstag. Rund 2.000 Teilnehmer aus Wissenschaft, Politik und Praxis haben sich angemeldet, 80 Veranstaltungen stehen auf dem Programm.
Offiziell gibt es sie gar nicht - Menschen ohne Papiere leben, möglichst ohne anzuecken oder aufzufallen. Doch wenn sie krank werden, müssen auch sie sich Hilfe suchen. Zwischen 4.000 und 5.000 Illegale werden in Berlin jährlich medizinisch behandelt. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie der "Berlin School of Public Health" an der Charité, die der taz vorliegt. Dafür wurden 42 Berliner Ärzte und 6 Vertreter von Hilfsorganisationen, die mit Menschen ohne Papiere arbeiten, befragt. Monika Hey, eine der Autorinnen, stellt die Studie am heutigen Samstag auf dem Kongress "Armut und Gesundheit" im Rathaus Schöneberg vor.
Flüchtlingsorganisationen schätzen die Zahl der illegal in Berlin lebenden Menschen auf rund 100.000. Längst ist bekannt, dass deren gesundheitliche Versorgung ein Problem darstellt. Theoretisch steht zwar auch den Papierlosen medizinische Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu. Doch sie müssen die Kostenübernahme beim Sozialamt beantragen. Damit riskieren sie, aufzufliegen: Das Amt ist verpflichtet, die Illegalen an die Ausländerbehörde zu melden. Viele scheuen daher diesen Weg.
Der größere Teil der Papierlosen, die sich wegen gesundheitlicher Probleme anonym an einen Arzt oder eine Hilfsorganisation wenden, sind Frauen. Sie machen laut der Umfrage 64 Prozent der Patienten ohne Aufenthaltsstatus aus. Die Behandlung Illegaler ist zeitaufwendiger als die anderer Patienten, so ein weiteres Ergebnis. Denn viele gehen erst spät und mit bereits fortgeschrittenen Erkrankungen zum Arzt. Das Spektrum der Diagnosen reicht weit: Verschleppte Infektionskrankheiten treten oft auf, ebenso chronische Beschwerden, die zu Komplikationen führen. Auch Arbeitsverletzungen sind laut der Studie häufig.
Das kann Adelheid Franz von der Malteser Migranten Medizin bestätigen. "Viele Menschen ohne Papiere arbeiten in der Gastronomie. Sie kommen oft mit Schnittverletzungen, weil ein Teller zu Bruch ging oder sie sich mit dem Messer verletzt haben", berichtet die Ärztin. Andere, die auf dem Bau arbeiteten, tauchten eher mit Knochenbrüchen auf. Gemeinsam mit anderen Ärzten behandelt Franz in der Praxis der Malteser ehrenamtlich pro Jahr mehr als 3.000 Patienten ohne Papiere. Räumlichkeiten und Geräte finanziert die Organisation aus Spenden und Stiftungsgeldern.
Als ein Problem nennen die Ärzte in der Studie auch die begrenzten Möglichkeiten zur Diagnostik und zur Therapie. Wer zahlt eine teure Behandlung, wenn es keine Versicherung gibt? Das Büro für medizinische Flüchtlingshilfe (Medibüro), neben der Malteser Migranten Medizin eine wichtige Anlaufstelle für die Papierlosen in Berlin, macht sich deshalb für die Einführung eines anonymen Krankenscheins stark. Die Grundidee: Menschen ohne Aufenthaltsstatus holen sich bei einer ärztlich geleiteten Stelle einen Krankenschein, mit dem sie zu jedem Arzt und in jedes Krankenhaus gehen können. Die Kosten sollen anonym über das Sozialamt abgerechnet werden.
Die Senatsverwaltung für Gesundheit kündigte vor zwei Jahren an, das Modell zu prüfen. Daraus werde in nächster Zeit aber wohl nichts, sagte eine Sprecherin. "Wir arbeiten weiter daran." Beschlossen wurden andere Erleichterungen: So dürfen Schwangere ohne Papiere drei Monate vor und drei Monate nach der Geburt nicht mehr abgeschoben werden. Vor zwei Jahren richtete die Verwaltung zudem einen runden Tisch für Flüchtlingsmedizin ein, an dem auch die Hilfsorganisationen beteiligt sind.
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