Mieter kämpft gegen Immobilienriesen: „Ich musste das in die Hand nehmen“
Der Kreuzberger Mieter Florian Hille streitet sich vor Gericht mit der Deutschen Wohnen – mit hohem Risiko. Am Freitag wird vor dem Amtsgericht weiter verhandelt.
taz: Herr Hille, wie viele andere Menschen aus der Kreuzberger Otto-Suhr-Siedlung haben auch Sie vor zwei Jahren eine Modernisierungsankündigung bekommen. Was hätten die Maßnahmen für Ihre Miete bedeutet?
Florian Hille: Meine Miete wäre von knapp 300 auf 450 Euro kalt gestiegen. Ich bin Jurist im Refendariat, da verdient man in Berlin rund 1.000 Euro netto – die Mieterhöhung wäre für mich also wirklich ein Problem.
War das der Grund, warum Sie sich entschieden haben, juristisch gegen die Modernisierung vorzugehen?
Nein, oder zumindest nicht nur. Um der Mieterhöhung zu entgehen, konnte ich mit meinem Gehalt einen Härtefallantrag stellen, das ist der übliche Weg. Mir ging es um etwas anderes: Ich war überzeugt, dass eine ganze Reihe der angekündigten Maßnahmen nicht nur nicht sinnvoll, sondern sogar schädlich sind.
Florian Hille
Der angehende Jurist ist 29 und wohnt seit 2013 in der Otto-Suhr-Siedlung. Dort ist er Teil der Initiative, die sich gegen die Mieterhöhungen der Deutschen Wohnen zur Wehr setzt.
Inwiefern?
Zum Beispiel habe ich auf Nachfrage hin erfahren, dass die Dämmung mit Styroporplatten gemacht werden soll, die mit einem sehr umweltschädlichen und gesundheitsgefährdenden Flammschutzmittel versehen sind. Das wollte ich nicht. Dann sind die neuen Fenster, die eingebaut werden, viel zu klein, die Wohnung wird dadurch dunkler. Und wegen der eingebauten Lüfter sind sie nicht richtig dicht – wenn es in der Nähe brennt, kann ich den Rauch nicht aus der Wohnung halten.
Sie haben sich also für einen ungewöhnlichen Weg entschieden und nicht der Mieterhöhung, sondern der Modernisierung selbst widersprochen. Was ist dann passiert?
Die Deutsche Wohnen hat mich verklagt, und es kam zum Streit vor Gericht. Dort muss ich begründen, warum ich die Maßnahmen ablehne, während die Deutsche Wohnen mithilfe eines externen Gutachtens nachweisen will, warum die Maßnahmen gerechtfertigt sind.
Haben Sie in dem Verfahren anwaltlichen Beistand?
Nein, zuerst habe ich mich selbst verteidigt. Mittlerweile hat sich allerdings ein Anwalt gemeldet, der gerne übernehmen will, und dafür war ich schon dankbar, denn das erspart mir einiges an Arbeit.
Dass die Modernisierungsmaßnahmen der Deutschen Wohnen umstritten sind, ist bekannt. Warum geht kaum jemand diesen Weg und wehrt sich juristisch?
Das Problem sind vor allem die Kosten: Verliere ich, muss ich nicht nur die Prozesskosten tragen, sondern auch die des Gutachtens, das die Deutsche Wohnen in Auftrag gegeben hat – insgesamt sind das rund 5.000 Euro. Das schreckt ab, während solche Summe für die Deutsche Wohnen kein Problem sind.
Ist es denn wahrscheinlich, dass Sie den Prozess verlieren?
Nein. Selbst das Gutachten der Deutsche Wohnen zeigt, dass ich etwa in der Fensterfrage höchstwahrscheinlich recht bekommen werde. Allerdings ist es so, dass der Modernisierungskatalog sehr, sehr viele Punkte umfasst; in allen recht zu bekommen ist quasi unmöglich. Das heißt, ich werde dann anteilig zahlen müssen: Wenn ich zu 40 Prozent verliere, muss ich auch 40 Prozent der Kosten tragen.
War Ihnen dieses Risiko von Anfang an bewusst?
Ja. Ich wusste, dass das ein kompliziertes Verfahren wird. Wir aus der Otto-Suhr-Siedlung waren gerade zu Beginn ja ziemlich alleingelassen, selbst der Mieterverein und die Mietergemeinschaft wollten sich nicht so richtig einklinken, weil ihnen das zu kompliziert war.
Warum haben Sie sich trotz der Risiken dafür entschieden?
Hier in der Siedlung leben sehr viele alte Menschen und sehr viele, die die nur auf Deutsch geschriebenen Modernisierungsankündigungen gar nicht verstehen können. Das heißt, wenn das Vorgehen der Deutschen Wohnen nicht juristisch überprüft wird, können die teilweise einfach machen, was sie wollen. Es gibt hier in der Siedlung offenbar keinen anderen Juristen, der sich der Sache annehmen wollte. Also musste ich sie selbst in die Hand nehmen.
Wenn Sie zumindest teilweise recht bekommen, profitieren die anderen Mieter?
Ja, es gibt dann eine Rechtsprechung, auf die man sich beziehen kann, was die Erfolgschancen für künftige juristische Auseinandersetzungen deutlich erhöht.
Aber auf den Kosten bleiben Sie sitzen?
Hoffentlich nicht. Aus der Mieterinitiative Otto-Suhr-Siedlung kam die Idee, ein Crowdfunding für die Prozesskosten zu starten – es wäre natürlich toll, wenn da etwas zusammenkommt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“