Microblogging mit Tumblr: Das Durcheinandertagebuch
Wer der Welt erzählen will, dass er auf dem Klo sitzt, der twittert. Komplexere Gedanken werden gebloggt. Und dann gibt es schon wieder etwas Neues, das Tumblren.
Tumblr also. Wieder so ein soziales Netzwerk-Ding. Einfach auf Tumblr.com gehen, Konto anlegen, E-Mail-Adresse und Passwort. Klick. So leicht wird man Blogger, korrekter gesagt: Microblogger.
Der Internetdienst mit dem Namen Tumblr hat im Februar diesen Jahres zum ersten Mal mehr als eine Milliarde Besucher im Monat gehabt. Er wächst und wächst, jeden Tag melden sich 15.000 Menschen an. Obwohl auf den ersten Blick alles netzüblich wirkt: Man kann sich eine eigene Seite anlegen, Videos, Bilder, Texte, Zitate, Links hochladen, für Freunde, Fans und das restliche Netzvolk. Alles so einfach, dass auch die letzten Technikdösel damit zurechtkommen. Und genau darin liegt das Geheimnis.
Verquirlte Webstory
Um das zu verstehen, eine kurze Einordnung in die Web-Systematik: Blogs sind was für Vielschreiber. Auf Twitter können 140-Zeichen-Textfetzen veröffentlicht werden, eine Art sozialer Herzrhythmusstörung. Youtube, Flickr und MySpace beherbergen Film, Foto und Sound. Facebook speichert den Smalltalk des Menschengeschlechts. Tumblr ist von allem etwas.
Dieser Artikel ist der aktuellen sonntaz vom 10./11. April entnommen - ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk erhältlich.
Die Geschichte von Tumblr ist eine dieser verquirlten Webstorys. Im Jahr 2005 ist David Karp, der Gründer aus den USA, gerade mal 18 Jahre alt. Er schmeißt die Schule und programmiert Webseiten. Der Münchner Chris Neukirchen dagegen geht noch zur Schule und bloggt. "Anarchaia" nennt er seine Gedankenfetzen. Er hat viele davon, zu kurz, um einen Text zu bloggen, zu schade, um sie wegzuwerfen.
Ebenso findet er Fotos, Links und Zitate im Netz. Er gestaltet "Anarchaia" so, dass dort jedes dieser Elemente unabhängig von den anderen auftaucht. Im Prinzip zerlegt er die Fließtexte der Blogs mit ihren Querverweisen und Kommentaren in Einzelteile. Ein Künstler entdeckt "Anarchaia" und nennt das Konzept einen "tumblelog". Ein Durcheinandertagebuch. Der Blogger Jason Kottke definiert "tumblelog" später als schmutzigen und schnellen Bewusstseinsstrom. Man kann vieles davon auf Wikipedia nachlesen. Und man kann bei Chris Neukirchen anrufen. Der sagt dann, das stimme so.
David Karp erzählt am Telefon, wie er und ein anderer Programmierer in New York davon etwas mitbekamen und fanden, es müsse einen Tumblelog-Dienst im Netz geben. Auf dass jeder sein eigenes Durcheinandertagebuch anlegen kann. Heute bietet Tumblr einen Knopf, den man sich im Browser einrichtet. Findet sich im Netz etwas Bemerkenswertes, klickt man darauf und kann einzelne Texte, Bilder oder Links sofort in den eigenen Blog übernehmen. Im Stile Neukirchens - spontan, ohne einloggen. Man wird so zum Kurator, sagen manche. Man stellt die Fundstückchen neu zusammen und beschriftet manche.
Karp präsentiert also seine Version ein paar Leuten mit Geld, sammelt 800.000 Dollar Risikokapital, hängt seinen Programmierjob an den Nagel. Heute sind es 5,2 Millionen Dollar Risikokapital. Warum geben Investoren solche riesigen Summen für diese Idee? Blogger wollen sich mitteilen, sie seien Schreiber, sagt Karp. "Wir wollen die gleiche Erfahrung allen anderen vermitteln", ergänzt er. Alle anderen, das sind ziemlich viele.
Im Netz sehen einige Rezensenten in Tumblr bereits eine neue Form von virtueller, sozialer Interaktion. Wie bei Twitter kann man anderen folgen, ihre Beiträge also abonnieren. Was aber Tumblr groß gemacht hat, ist der Reblog. Angenommen, man findet in einem anderen Tumblr-Blog ein rührendes Bild, ein Kätzchen. Man kann das jetzt nicht einfach direkt kommentieren. Stattdessen bloggt man zurück.
Das Bild erscheint dabei auf der eigenen Seite, erst dort kann man seine Gedanken dazu niederschreiben. Anonymes Online-Gepöbel ist damit nicht so leicht möglich. Eine simple Idee mit großer Wirkung. Jeder hinterlassene Gedanke ist auf die eigene virtuelle Identität zurückzuführen, zudem sieht jeder, wer den eigenen Blog zitiert. Falls der andere Blogger - auch das ist möglich - seine Einträge nicht nur für Freunde zugänglich macht. Glaubt man den Kritiken im Netz, sind Tumblr-Blogger deshalb erstaunlich nett zueinander. In den USA gab es bereits über 300 "Tumblr meet-ups", Offline-Treffen von Bloggern.
Die leidige Geldfrage
Stellt sich die Frage, wie Karp Geld verdienen will. Er habe geduldige Investoren, sagt er, Hauptsache, man wächst. Aus Kundenprofilen Daten für Werbezwecke generieren, das gebe es bei seiner Firma nicht. Sie hat ohnehin erst 13 Angestellte. Werbebanner fehlen, auch wenn jeder in seinen Blog nach Belieben welche einbauen kann. Tumblr bietet über 300 Designvorlagen für die eigene Seite, ein paar kosten Geld. Vielleicht verkaufe man später noch qualitative Musik- oder Videospieler, sagt Karp.
Aber er hat noch eine andere Idee: Blogger sollen zahlen, um bekannt zu werden. Tumblr hat ein thematisches Verzeichnis seiner Blogs, in dem aufsteigt, wer häufig empfohlen wird. Für Preise ab neun Dollar lässt sich das eigene Ranking aufbessern. Geld für Beliebtheit? "Wenn du eine Band gründest und dich niemand kennt, dann zahlst du auch Geld für ein paar Flyer und verteilst die. Das ist nichts anders", sagt Karp. Er ist heute 23 Jahre alt und nach eigener Aussage weit davon entfernt, Millionär zu sein. Neukirchen, der erste Tumblelogger, studiert Mathe. Mit ein bisschen mehr Unternehmergeist hätte auch er Tumblr gründen können, sagt er. Das sei aber nicht so wild. Karp und Neukirchen haben sich übrigens noch nie getroffen. In der real World.
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