■ Michael Klare zu den militärischen Planungen der USA: Clintons frustrierte Wünsche
Michael Klare ist Professor für „Peace und World Security Studies“ am Hampshire College in Massachusetts, wo er ein Programm zur Friedens- und Konfliktforschung leitet. Klare hat zahlreiche Bücher zur Abrüstung und internationalen Politik veröffentlicht.
taz: Sieben Monate nach Clintons Amtsantritt hat das Pentagon mit Zustimmung des Weißen Hauses seinen neuen „Struktur- und Kürzungsplan“ bekanntgegeben. Kann man sich nach dieser Veröffentlichung bereits ein Bild über die neue amerikanische Militärpolitik machen?
Klare: Das kann man. Zusammenfassend würde ich sagen, daß der ursprüngliche Vorsatz, den Rüstungshaushalt zusammenzustreichen, immer mehr in den Hintergrund gerückt worden ist. Am Ende wird wahrscheinlich das amerikanische Militär unter Clinton nicht viel anders aussehen als unter Bush.
Was sagt das über eine mögliche neue Militärdoktrin aus?
Sowohl Clinton als auch Verteidigungsminister Les Aspin legen ständig folgende Haltung an den Tag: „Wir spielen in Zukunft nicht mehr den Weltpolizisten, aber... wir müssen ihn halt doch spielen, weil kein anderer die Rolle übernehmen kann.“ Auf die UNO kann man sich nicht verlassen, und die Europäische Gemeinschaft gilt als völlig unfähig, irgendwelche Probleme zu lösen. Clinton würde, wenn er es sich aussuchen könnte, am liebsten alle US-Truppen aus Somalia abziehen. Aber man meint, wenn auch äußerst widerwillig, einer Verantwortung gerecht werden zu müssen – nach dem Motto: Wenn die USA nicht intervenieren und „für Ordnung sorgen“, dann werden die Verhältnisse noch chaotischer. Diese Haltung hat Folgen für die Militärplanung. So wird zum Beispiel die Zahl der US-Flugzeugträger nicht – wie von der Clinton-Administration ursprünglich geplant – von vierzehn auf zehn, sondern nur auf zwölf reduziert. Das ist eine Entscheidung von enormer, auch symbolischer Relevanz.
Ist es nicht auch der Druck des militärisch-industriellen Komplexes, der die Einsparungs- und Umstrukturierungspläne Clintons zunichte macht?
Druck von seiten des militärisch-industriellen Komplexes gibt es immer. Der Druck ist aufgrund des Verlustes von Arbeitsplätzen im Rüstungssektor zur Zeit auch größer. Aber ich halte trotzdem nicht den militärisch-industriellen Komplex für den ausschlaggebenden Faktor, sondern die eben genannten politischen Erwägungen.
Unter welchen Umständen werden die USA künftig militärisch intervenieren, und wie wird das „nationale Interesse“ der USA definiert werden?
Von offizieller Seite wurden ja bereits Kriterien formuliert, bei denen Handlungsbedarf entsteht: Da gibt es zum einen den Bereich der low intensity-Konflikte. Darunter fallen peace keeping-Missionen, militärische Operationen zur Bekämpfung der Drogenproduktion und des Drogenhandels oder humanitäre Interventionen. Ein weiteres Konfliktszenario ist die Machtergreifung in Rußland durch eine ultranationale Regierung, die wiederum eine Konfrontation wie zu Zeiten des kalten Krieges hervorrufen könnte. Drittens gibt es das Problem der Proliferation und – in diesem Zusammenhang – des Aufstiegs von Dritte-Welt-Ländern wie Iran, Irak, Nordkorea oder Libyen zu Regionalmächten. Für diese Fälle wurden und werden im Pentagon Kriegsszenarien entwickelt. Diese Konflikte nenne ich mid-intensity warfare, denn diese Staaten sind militärisch relativ gut ausgerüstet.
Muß die US-Administration sich nicht zuallererst mit den Folgen vergangener Rüstungs- und Technologieexporte im konventionellen Bereich herumschlagen? Im Irak wurden, in Somalia werden amerikanische Soldaten von amerikanischen Waffen bedroht...
Zweifellos. Nicht nur die USA, auch die Russen werden nun in Regionalkonflikten Opfer von Waffen, die sie selbst geliefert haben.
Sie haben in der letzten Zeit mehrfach vor der Gefahr regionaler Rüstungswettläufe gewarnt. An welche Regionen denken Sie?
Zur Zeit sind drei größere Rüstungswettläufe in Gang. Der erste findet – seit Jahren kontinuierlich – im Nahen Osten statt. Der zweite spielt sich zwischen Indien und Pakistan ab. Und schließlich gibt es mehrere miteinander verknüpfte Rüstungswettläufe in Asien: Nord- und Südkorea rüsten gegeneinander auf; ebenso die Volksrepublik China und Taiwan; die VR China befindet sich schließlich auch in einem Rüstungswettlauf mit den Asean-Ländern, von denen mehrere Anspruch auf Territorien im Südchinesischen Meer erheben. Von dieser Situation profitieren zur Zeit alle großen Rüstungsexporteure. Rußland versucht, mit China ins Geschäft zu kommen, und hat gerade ein größeres Exportgeschäft mit Malaysia abgeschlossen. Die USA beliefern Taiwan und Südkorea; die Westeuropäer, allen voran Frankreich und Deutschland, sorgen ebenfalls für Nachschub in Südkorea, Taiwan und den Asean-Staaten.
Was muß passieren, um diesen Wettlauf aufzuhalten?
Erstens müssen sich natürlich die Exporteure endlich einmal zurückhalten. Zweitens muß so schnell wie möglich ein Sicherheitsdialog zwischen allen Beteiligten initiiert werden, etwa nach dem Vorbild des KSZE-Prozesses. Das kann ohne Druck von außen nicht funktionieren, denn aus der Region selbst wird diese Initiative nicht kommen.
Die USA haben nun gegen den Hauptakteur in der Region, China, Sanktionen verhängt, weil der gegen Absprachen über Exportbeschränkungen verstoßen und Raketenkomponenten an Pakistan geliefert hat. Ist das ein Schritt in Richtung einer effektiven Bekämpfung von Rüstungsproliferation?
Ich denke schon. China ist enorm an einer wachsenden wirtschaftlichen Kooperation mit dem Ausland interessiert. Man muß klarmachen, daß diese Kooperation nur zu haben ist, wenn China mehr Verantwortungsbewußtsein bei Rüstungsexporten zeigt. Ich weiß, daß dieser Ansatz enorm schwierig ist, viel diplomatische Arbeit erfordert.
Im Zuge der Budgetkürzungen im Rüstungshaushalt werden Rüstungsunternehmen verstärkt versuchen, sich durch Exporte schadlos zu halten. Kann Bill Clinton diesem Dilemma zwischen Arbeitsplätzen und Nonproliferation entkommen?
Er kann und er muß dabei auf multilaterale Schritte bauen. Ein zentrales Argument jeder nationalen Rüstungsindustrie bei der Legitimierung von Exporten lautet ja immer: Wenn wir die Waffen nicht verkaufen, dann machen es die anderen. Exportbeschränkungen müssen also zusammen mit den anderen großen Waffenexporteuren vereinbart und durchgesetzt werden. Bislang hat Clinton allerdings überhaupt keine Anstrengungen unternommen, zum Beispiel die sogenannten P-5-Gespräche zwischen den USA, Rußland, China, Frankreich und England wiederzubeleben, die 1991 begonnen hatten. Da waren tatsächlich ein paar Vereinbarungen zustande gekommen über zukünftige Richtlinien bei der Kontrolle von Waffenexporten. George Bush hat diese Gespräche dann fürs erste dadurch sabotiert, daß er dem Verkauf von 200 F-16-Kampfflugzeugen an Taiwan zustimmte. Daraufhin verließ China im Oktober 1992 den Verhandlungstisch. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, die Gespräche wiederaufzunehmen. Aber in Washington tut sich offenbar nichts. Interview: Andrea Böhm
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