piwik no script img

Archiv-Artikel

„Mich von diesem Klotz befreien“

Was ist die größte Gefahr, wenn man einen Film über die Eltern dreht? „Dass du als Kind darin hocken bleibst.“ Ein Gespräch mit der Regisseurin Angelika Levi, die sich in „Mein Leben Teil 2“ der Geschichte ihrer deutsch-jüdischen Familie annimmt

Interview MANFRED HERMES

taz: Frau Levi, warum gehen Sie in „Mein Leben Teil 2“ von Ihrer deutsch-jüdischen Familiengeschichte aus?

Angelika Levi: Mich hat immer interessiert, was meine Familie in der Kriegszeit, auf der Flucht, in Chile gemacht hat. Die Geschichten, die sie erzählt haben, waren ja immer auch kleine Abenteuergeschichten. Ich wollte aber erzählen, wie es in Deutschland ist, wenn man mit jüdischer Mutter und einem Pfarrer als Vater aufwächst. Es war der Versuch, innerhalb dieser sehr persönlichen Daten existenziellere Fragen zu stellen: Was ist Erinnerung, Geschichte, Schuld und Trauma? Wie wird das weitergegeben? Und wie nimmt man vor diesem Hintergrund eine Gesellschaft wahr?

Wie nimmt man sie wahr?

Dass man hier als Jüdin eigentlich nicht vorkam. Dass die Geschichte ein unheimliches Gewicht hat. Die Tragik der umgebrachten Familienmitglieder war immer präsent. Es wurde über sie erzählt – nicht wie sie umgekommen sind, sondern wie sie so waren. Im Nachkriegsdeutschland kamen Juden nur als Tote vor.

Es sieht so aus, als ob die religiöse Identität ihrer Mutter sehr brüchig war.

Was vor allem spannend ist: wie sie diese Brüche harmonisiert hat. Darin war sie eine echte Künstlerin, diese ganzen Geschichten so aufzubauen, dass alles genau zusammenpasst. Sie war ja Biologin, die 3.000 Jahre der Levi, diese uralte Geschlechterfolge, wurde für sie so fast zum Abbild der Evolution.

Während Sie die entgegengesetzte Richtung einschlagen und die Differenzen freilegen.

Ich kann das machen, weil ich einer anderen Generation angehöre. Ich kann mir das Material angucken, ich habe das nicht erlebt, kenne den direkten Schmerz nicht. Meine Mutter hat keinen Tag nicht darunter gelitten. Es war schon heftig, dass das immer da war.

Warum kommt das Motiv der Reise bei Ihnen in konträren Versionen vor – einerseits als die erzwungene Bewegung der Emigration, andererseits als Lust und als Freude über die Mischungen, die sich aus Ortsveränderungen ergeben?

Wenn man alle Figuren des Films nimmt, war mir mein Großvater noch am nächsten. Er ist nach Chile geflohen und auch nach dem Krieg dort geblieben, weil er in Deutschland nicht mehr leben wollte. Er hat eigentlich nie über den Holocaust gesprochen. Er war fasziniert vom Reisen, und das ist bei mir so ähnlich.

Es gibt den Nebenaspekt, dass viele der in Chile lebenden Juden mit dem Regime Pinochets sympathisiert haben.

Das war eine wichtige Erfahrung. Ich bin aufgewachsen mit dem klaren Opfer-Täter-Schema: Die Juden sind gut, die Deutschen sind böse. In Chile sah das ganz anders aus: Die Juden waren ganz klar nicht die Opfer, sondern eher wohlhabend und angepasst. Es gab diesen Scheuklappenblick für das, was das neue System brachte, nämlich die Verfolgung und Ermordung tausender von Linken.

Ist es nicht eine sentimentale Vorstellung, dass eine minderheitliche Situation zu einer Sensibilität für andere minderheitliche Positionen führt?

Diese Vorstellung habe ich selbst gehabt: dass alle, die so eine schlimme Erfahrung wie den Faschismus gemacht haben, ein politisches Bewusstsein davon haben müssten, was Verfolgung bedeutet, und in jedem Fall gegen Menschenrechtsverletzungen und totalitäre Systeme sein müssten.

Sie haben sich sozusagen doppelt minoritarisiert. Eigentlich sind Sie die klassische Pfarrerstochter, dann gibt es diesen Schritt zu sagen: „Ich heiße nicht mehr Becker wie mein Vater, sondern Levi.“

Aber das war nicht aufgesetzt, das kam aus einer langen emotionalen Entwicklung. Gerade hier bin ich ja immer als Jüdin gesehen worden, oft sogar mit einem mitleidigen Blick. Bis ich 35 war, habe ich das immer nur politisch diskutiert, aber irgendwann kommt man zu dem Punkt, wo man sagt: Wenn man von einer jüdischen Position aus diskutiert, ist es ehrlicher. „In Deutschland bin ich Jüdin, weil Teile meiner Familie umgebracht wurden, als Juden“: Das reichte mir aus. Das Lesbischsein war für mich viel früher da und weniger problematisch. Ich habe das nur sehr zart und am Rande in den Film hineingebracht.

Als anti-biologistischen Punkt in einer unendlich dichten Familiengeschichte?

Das war mir wichtig zu sagen: Diese 3.000 Jahre der biologisch-evolutionären Entwicklung der Levis haben hier nun ihr Ende gefunden.

Sie haben an diesem Film sehr lange gearbeitet, fünf Jahre?

Mindestens.

Trotzdem hat er eine angenehme, leichte Stimmung, einen souveränen Fluss, ist sehr emotional – nichts, was man mit einer langen, schwierigen Arbeit verbindet.

Die Arbeit war teilweise sehr zermürbend. Ich hab viel Material gehabt, die Schneidetischarbeit, das Verwerfen und Auswählen haben sich lange hingezogen. Oft wechselten die Prioritäten. Warum der Film leicht wirkt? Am Ende habe ich es geschafft, mich von diesem Klotz, diesem Erbe zu befreien. Das war die eigentliche Arbeit: aus diesem ödipalen Dreieck herrauszutreten. Das ist ja das Schwierige, wenn du einen Film über deine Eltern machst, dass du als Kind darin hocken bleibst.

Ihr Vorgehen ist fast ein Plädoyer gegen das professionelle Arbeiten mit Film.

Wieso?

Die Zeit, die Sie brauchen, ist ja nicht planbar …

Für mich wird immer wichtig sein, dass ich mir Zeit nehme für das, was da passiert, was die Bilder sind, was gesagt wird. Nicht einfach etwas abzudrehen wie in einem Fernsehfeature. Ich arbeite kompliziert und mit vielen Umwegen, und dazu brauche ich Zeit. Ich drehe irgendwas, und das gefällt mir auch ganz gut, aber es reicht mir nicht. Also brauche ich die Phase der Reflexion während der Schnittarbeit.

Sie collagieren sehr verschiedenartiges Material, das zudem aus unterschiedlichsten Bild- und Tonquellen stammt. Ist „Mein Leben Teil 2“ auch ein Film über Medien?

Ich habe immer viel gesammelt. In meinen Film war es mir wichtig zu zeigen, dass die Materialen auch eine spezifische Geschichte haben, Super-8, S-VHS, 16 mm, Tonkassetten. Ich arbeite nicht journalistisch, sondern es geht mir um Kadrierung, Farben und das, was zwischen Ton und Bild passiert. Ich arbeite sehr subtil mit den Bildern. Da muss man auch subtiler wahrnehmen.

„Mein Leben Teil 2“ läuft heute in Berlin an, im Januar in Oldenburg und Karlsruhe