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Archiv-Artikel

Mexiko stinkt

Leiden und leiden lassen: „Das andere Gesicht Rock Hudsons“ von Guillermo J. Fadanelli

Grelle Farben, starke Wörter: Guillermo J. Fadanelli porträtiert in dem Roman „Das andere Gesicht Rock Hudsons“ ein ziemlich unappetitliches Elendsviertel von Mexiko-Stadt. Die Straßen sind voller „Schlaglöcher und Geschwülste, die Gullis spien beißende Gerüche aus, als würden darin die Dutzende von Hunden gekocht, die täglich von den Autos angefahren werden.“ Betrunkene begrabschen Frauen in engen Kleidern, die „schmierigen Hälser“ ihrer Flaschen am Mund, vierzehnjährige Mädchen spielen mit alten Männern „Mortal Kombat“ in irgendwelchen Spelunken. Ein Junge um die fünfzehn erzählt von seinen Streifzügen durch das Elendsviertel, in dem er lebt. Schule und Elternhaus sind nebensächlich, was zählt, ist die Straße mit all ihren wilden Gestalten und harten Gesetzen. Er wird aufmerksam auf Juan (Jonny) Ramírez. Dieser, ein gestandener Mann Mitte dreißig, mit verkommener Haut und langer Nase, gibt in Sachen Drogen und Morden den Ton an im Viertel.

Ramírez war schon immer leicht reizbar. Als Kind, auf dem Jahrmarkt aufgewachsen, schoss er Menschen schon das Gesicht weg, wenn sie sich seiner Schwester unsittlich näherten. Jetzt machen beide beides für Geld. Sie, heroinsüchtig, prostituiert sich, er raubt ihre Freier aus und tötet nebenbei auf Verlangen. Faszinierend ist, wie Ramírez sich von seinen Morden erholt: Er zieht sich in ein ranziges Zimmer im schmuddeligen Hotel Orziba, das er gemeinsam mit seiner Schwester bewohnt, zurück, manchmal auch in irgendein anderes. Er legt sich ins Bett und schläft. Zwei, drei Tage am Stück, ohne zu erwachen. Danach kratzt er den „Schlamm von seiner Erinnerung“ und alles ist wieder beim Alten, nur dass es ihm mit den Jahren zunehmend schwerer fällt, das flehentliche Stammeln von all den zerstörten Lippen zu vergessen, die er bereits gesehen hat.

Wenn seine Auftraggeber nicht in der Lage sind, ihre Schuld mit Geld zu begleichen, dann nimmt Ramírez ersatzweise auch Arbeitskräfte, Familienangehörige. So gelangt der Ich-Erzähler in seine Fänge. Für minderjährige Dealer, die neue, noch jüngere Kunden anwerben, hat Ramírez immer Verwendung. Es ist ein Kreislauf. Seine Schwester kam auch auf dem Schulhof zum Heroin. Der Kreis ist geschlossen in diesem Viertel, da kommt keiner raus. Männer verkaufen Drogen, kontrollieren Prostituierte, saufen und töten. Die Frauen, seit ihrer frühesten Jugend an kurze Röcke und die Übergriffe der Männer gewöhnt, verkaufen ihre Körper und dämmern vor sich hin. Als Ramírez endlich tot oder zumindest halbtot abgeholt wird, von der Polizei oder seinen Feinden, da gleichen der Ich-Erzähler und seine Schwester Elena schon so sehr dem Killer und seiner Schwester Rebecca, dass sie sogar in deren Zimmer ziehen. Selbst das inzestuöse Element in der Beziehung zwischen Rebecca und Ramírez scheint sich bei den Jüngeren in Ansätzen zu wiederholen.

Fadanelli, mit Anfang vierzig schon lange Kultautor der jungen mexikanischen Generation, zeigt dieses Elendsviertel, in dem Erwachsenwerden leiden und leiden lassen heißt, als hermetisch abgeriegelten Raum. Es gibt kein Außen, keinen Vergleich. Er hätte seine Schwester aus diesem Milieu heraus retten müssen, denkt der Ich-Erzähler am Ende, sie hätte das Zeug zur Schauspielerin. Aber da es keine Verbindungen, keine Übergänge gibt zwischen dem Elendsquartier, in dem Fadanellis Roman spielt, und den schöneren Gebieten der Welt, kann offensichtlich auch keiner den Sprung hinaus schaffen. Es ist beeindruckend und schockierend, in welcher Drastik Fadanelli mit dem „Vom Tellerwäscher zum Millionär in der globalisierten Welt“-Mythos aufräumt, indem er unser europäische Mittelschichtsbiotop und den Lebensraum seiner Romanfiguren als brückenlose Parallelwelten zeigt. Es gibt keine Hoffnung in „Das andere Gesicht Rock Hudsons“. CORNELIA GELLRICH

Guillermo J. Fadanelli: „Das andere Gesicht Rock Hudsons“. Aus dem Spanischen von Sabine Giersberg. Matthes & Seitz, Berlin 2006, 192 Seiten, 16,80 Euro