■ Metaller lehnen Kompromiß ab: Jetzt köchelt die Wut
Wenn die Ablehnung des sächsischen Tarif-Kompromisses die hiesige IG-Metall-Führung überrascht haben sollte, dann ist sie selber schuld. Das wäre ein Zeichen, wie weit weg sie ist von der Stimmung in den Betrieben in Ostberlin und in Brandenburg. Dort nämlich hat man die Streikforderungen ernst genommen – so ernst, wie die Beschäftigten in den vergangenen drei Jahren ihre Belange gerne von der Frankfurter Gewerkschaftszentrale vertreten gesehen hätten. Etliche Beispiele gibt es, wo sich die Belegschaften bei ihrem Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze und der Durchsetzung eigener Übernahmekonzepte nur unzureichend unterstützt fühlten. Mit dem Streik war deswegen auch die Hoffnung verbunden, die IG Metall werde endlich kämpferisch.
Die Entscheidung der Hennigsdorfer Stahlwerker, heute dennoch wie geplant zu streiken, beleuchtet, wie sehr an der Basis die Wut köchelt. Zweifellos ist die Vorbereitung eines Arbeitskampfes mit viel rhetorischer Kraftmeierei verbunden. Das darf aber nicht dazu führen, daß die Forderungen zum Schluß nur noch Muster ohne Wert sind. Manchem streikbereitem Metaller muß es deshalb jetzt wie ein billiges Schattenspiel vorkommen, daß die IG-Metall- Führung erst mit markigen Worten ihren bedingungslosen Kampf gegen den Tarifbruch ankündigt, um nun einer mehr als unbefriedigenden Lösung zuzustimmen. Zu Recht wird an der Basis gefragt, ob man dafür hat streiken müssen oder ob dieses Ergebnis nicht schon in der Schlichtung hätte erzielt werden können. Auswirkungen aber wird das vorerst wohl kaum haben. Bezirksleiter Wagner wird zwar in den nächsten Tagen etwas blaß um die Nase herumlaufen, doch die für die Kompromißannahme nötigen fünfundzwanzig Prozent Jastimmen werden schon zusammenkommen. Eines aber werden die Beschäftigten zumindest vom ersten Ausstand seit sechzig Jahren gelernt haben: daß im Westen auch Streiks ihre Rituale haben und selbst der Klassenkampf ganz anders ist als in den DDR- Geschichtsbüchern dargestellt. Gerd Nowakowski
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