piwik no script img

Merve-Bändchen-Träger enttäuscht

Erwartet hatte man nichts, aber dann fand tatsächlich nichts statt: Eine verlorene Mille-Plateaux-Nacht im Roten Salon

Dienstag, 1.00 Uhr: Aftershowparty im Roten Salon. So will es zumindest der Programmflyer. Doch kurzerhand wurde die- ser Mille-Plateaux-Nacht-Showdown gecancelt. Nach einer halben Stunde Party, die diesen Namen kaum verdiente, wurde man einfach herauskomplimentiert. Nicht ohne darauf hingewiesen worden zu sein, dass man ja jetzt noch in den Bastard zu Jake Mandell gehen könne. Wahrscheinlich war dort genauso wenig los wie hier, und deshalb betrug der Eintritt für alle ausgewiesenen Volksbühnen-Event-Sucher nur noch zwei Mark. Stephan Geene vom Buchladen B-Books, der mal wieder seinen obligatorischen Bücher-Bauchladen in der Volksbühne aufgestellt hatte und mit dem B-Books-Soundsystem die Schlussparty zum Anrocken bringen sollte, meinte nur leicht indigniert: „Die Veranstalter der Mille-Plateaux-Nacht sind eben enttäuscht, weil einfach viel zu wenig Leute kamen.“

Was war hier passiert? Schon zweimal kam es in der Volksbühne zu Mille-Plateaux-Nächten. Und beide Male waren diese im Vorfeld und in der Nachbetrachtung der liebste Kneipengesprächsstoff für Hornbrillenträger mit Faible für „electronic listening“. Das eine Mal clashten Alec Empire und DJ Spooky im Rahmen einer groß angelegten Mille-Plateaux-Label-Tour bis ins Morgengrauen, und das andere Mal ging es vor allem um Gilles Deleuze, dessen Hauptwerk dem Frankfurter Experimental-Techno-Label den theoretischen Unterbau lieferte, und gar nicht so sehr um die Musik. Aber dann natürlich doch wieder. Denn die Volksbühnen-Großereignisse sollen schließlich paradigmatisch für eine Amalgamierung von Theorie, sozialer Utopie und Popkultur sowie die Auflösung von scheinbar naturgegebenen Schranken zwischen Akademie und Dancefloor stehen. Funky Diskurs kann man auch ertanzen, darum soll es hier immer wieder gehen.

Und nun, so ganz ohne Aufputschmittel genommen zu haben, stand die Veranstaltung plötzlich ziemlich nackt da. Auf der riesigen Bühne verloren sich die jeweiligen Artists vor ihren Laptops und anderen Geräuscherzeugern und fummelten, während hinter ihnen unaufdringliche Visuals rauschten. Und nach dem pünktlichen Ende der Knisterknaster-Sause im großen Volksbühnensaal um 0.30 Uhr kroch man aus den Theatersesseln, um sich im Foyer noch ein wenig darüber auszulassen, ob dem Set von Vladislav Delay nun der pumpende Beat gefehlt habe oder ob dieser in der dargebotenen ambientösen Form in Ordnung gehe. Die Merve-Bändchen blieben dabei in den Hosentaschen stecken.

Wir werden sie vermissen, die Mille-Plateaux-Volksbühnennächte, in denen man sich wenigstens darüber echauffieren konnte, dass zu viel versprochen wurde und überall was passierte, aber nur selten was richtig Spannendes. Dieses Mal hatte man sich zwar auch nicht allzu viel erwartet, doch man wurde leider nicht enttäuscht.

ANDREAS HARTMANN

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen