Merkels Kurs zum Thema Libyen: Die verstörte Union
Angela Merkel brüskiert mit der Enthaltung im Sicherheitsrat die eigene Partei und entfacht hitzige Diskussionen. Auch die Wähler sind vom Verhalten der Kanzlerin irritiert.
BERLIN taz | Einfach zu erklären ist die deutsche Haltung zu Libyen nicht. Seitdem Deutschland sich im Sicherheitsrat enthalten hat, versichert Kanzlerin Angela Merkel (CDU), dass man nun voll und ganz hinter den Zielen der Resolution 1973 stehe. Wenn man aber Merkels politischen Vertrauten zuhört, dann hätte Deutschland gegen die Resolution stimmen müssen.
Schon Anfang März, eine Woche bevor Sarkozy die libyschen Rebellen diplomatisch anerkannte, war Merkels Haltung zu einem westlichen Militäreinsatz klar: auf keinen Fall mit uns. Bomben von westlichen Flugzeugen auf Tripolis, so die Befürchtung im Kanzleramt, würden ganz schnell antiwestliche Ressentiments in der Region schüren. Nicht nur in Libyen, sondern auch in Ägypten und Tunesien. Auch das moralische Argument beurteilte man im Kanzleramt skeptisch. Dann müsse man erst recht im Ost-Kongo eingreifen. Unionsfraktionschef Volker Kauder erklärte am Montag, in Libyen tobe ein "typischer Bürgerkrieg". Wenn das so ist, wäre eine Intervention nicht zu rechtfertigen. Zumal, so Merkels Vorbehalt, der Militärschlag kein klares Ziel habe.
Merkel und Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) sind eigentlich entschieden gegen den Militäreinsatz: Bei der Abstimmung hat Deutschland sich enthalten. Seitdem unterstützt die Bundesregierung den Einsatz. Man ist dafür, dagegen, dazwischen sowieso. Alles klar?
Merkels Kurs ist auch in der Union umstritten. Die Union stand immer für Loyalität zu den USA und dem Westen. In der Fraktionssitzung am Dienstag musste sich die Kanzlerin daher einiges anhören. Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses und bekannt für moderate Töne, kritisierte, dass die deutsche Enthaltung ein falsches Signal an die jungen arabischen Revolutionäre sei. Man hätte sich deutlich an ihre Seite stellen müssen.
"Der normale CDU-Funktionär leidet"
Philipp Mißfelder, außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, und andere warfen der Kanzlerin vor, dass Deutschland, trotz der Skepsis, für den Einsatz hätte stimmen müssen, damit der Westen Geschlossenheit zeige. Auch ein Ja im UN-Sicherheitsrat hätte ja nicht bedeutet, dass sich Deutschland an der Militäraktion beteiligen muss. Es wäre aber das richtige politische Zeichen der Bündnistreue gewesen. Merkel verteidigt sich mit dem Hinweis, dass von Bündnistreue nur geredet werden kann, wenn die Nato im Einsatz ist. Genau dies sei aber in Libyen nicht der Fall.
"Unsere Diskussion über die Abstimmung zu Libyen macht mich traurig", so die Kanzlerin zur Fraktion. Wegen der Wahlen in Baden-Württemberg sollten sich die Kritiker zurückhalten.
In der CDU verstehen viele nicht, warum ausgerechnet eine schwarz-gelbe Regierung demonstrativ auf Distanz zu den USA, Frankreich und Großbritannien geht. Der CDU-nahe Politologe Gerd Langguth meint: "Der normale CDU-Funktionär leidet unter der Enthaltung." Die Enthaltung mag die Chancen der CDU bei Wechselwählern erhöhen, das eigene Lager ist verunsichert. Und nichts ist ein paar Tage vor der Schlüsselwahl in Stuttgart schädlicher als eine verstörte Partei. Grund für Irritation gibt es für die CDU-Klientel genug. Nach der Wehrpflicht und der Atomenergie steht nun auch die Verbundenheit mit dem Westen als Markenkern der Union in Frage. Die Enthaltung im Sicherheitsrat, so Langguth, ist "eine Identitätsfrage für die Union".
So rührt die Enthaltung an dem Problem, das die Union mit Merkel latent noch immer hat. Die Kanzlerin lässt alle Glaubenssätze über Bord gehen, die gerade nicht ins Tagesgeschäft passen. Und auch Merkel-Verteidiger in der CDU können nicht erklären, warum Merkel 2003 aggressiv gegen Gerhard Schröders Nein zum Irakkrieg agitierte und jetzt ganz ähnlich wie Schröder handelt. Sie entscheide eben "von Fall zu Fall", so ein CDU-Mann. Genau das ist aber Merkels zentraler Mangel: Sie kann kaum erklären, warum sie mal so, mal so entscheidet. So ist Merkels Skepsis gegenüber dem Libyen-Einsatz durchaus prinzipiell und mehr als Wahltaktik. Aber glaubhaft machen kann sie dies nicht - weil die große Linie fehlt.
"Gespenstische Ruhe"
Diese Begründungsschwäche hat Schröder am Ende die Kanzlerschaft gekostet. Und: Schröder regierte das Parlament mit Machtworten. Merkel regiert, indem sie - wie bei Atommoratorium, dem Euro und Libyen - das Parlament einfach außen vor lässt. In der Unionsfraktion, so der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach kürzlich, haben "viele das Gefühl, nur noch bereits getroffene Entscheidungen zu bestätigen".
Vor der Baden-Württemberg-Wahl herrscht in der Union nun "gespenstische Ruhe", so Gerd Langguth.
Wie nervös Schwarz-Gelb nach der Enthaltung und vor dem Wahlwochenende ist, zeigt ein Gerücht, das in der Union kursierte und das die Frankfurter Allgemeine gestern druckte. Westerwelle wollte demnach mit Nein stimmen, Merkel habe ihn davon abgehalten. Es hagelt Dementis, auch aus Merkels Umfeld. Ein Westerwelle-Vertrauter nannte dies der taz gegenüber "absoluten Blödsinn". Die Aufregung zeigt: Es werden Schuldige gesucht, wenn die Wahl in Stuttgart schiefgeht.
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