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Menschenrechte und Peanuts im Sonderangebot

■ Bürgerschaftsparteien „bewältigten“ ihre deutsch-deutsche Vergangenheit, aber jede die der anderen / Keinen Pfennig für Erfassungsstelle

Seit dem 9. November 1989 hat die Zahl der Fragen zugenommen, auf die eingestandene Ratlosigkeit die realistischste aller möglichen Antworten ist. Eine Stunde debattierte die Bürgerschaft gestern über die Zentrale Erfassungsstelle von Menschenrechtsverletzungen in der DDR. Dann, bei der entscheidenden Abstimmung, stimmte die grüne Abgeordnete Carola Schumann nicht für einen Antrag der CDU, sie stimmte auch nicht dagegen wie die komplette SPD -Fraktion, sie enthielt sich auch nicht wie ihre FraktionskollegInnen. Schumann verließ den Saal.

Worum ging es? Auf den ersten Blick um eine lächerliche Summe, die Bremen seit drei Jahren nicht ausgibt. Auf den zweiten Blick um die Schwierigkeiten einer Haltung zu 30 Jahren deutsch

deutscher Geschichte. 2.500 Mark jährlich hat Bremen sich von 1961 bis 1988 die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen in der DDR durch die Zentrale Erfassungsstelle in Salzgitter kosten lassen. Mit ihrer Gründung reagierten alle Bundesländer 1961 auf Mauerbau und Schießbefehl. Seither sammeln in Salzgitter drei Angestellte - 27 Jahre lang auch auf Bremer Kosten - Erkenntnisse über Todesschüsse, politische Verfolgung, Terror-Urteile durch DDR-Justiz, Stasi-Spitzel und Volkspolizei - eine politische Dauer-Demonstration des Zweifels an rechtsstaatlichen Prinzipien und Gültigkeit von Menschenrechten in der DDR.

Bis 1988. Ohne offizielle Begründung stellten alle SPD -regierten Bundesländer ihre Zah

lungen ein. Umso eindeutiger war die inoffizielle Begründung: Als politische Waffe des kalten Kriegs paßte das organisierte Mißtrauen gegenüber der DDR nicht mehr in Entspannungskonzepte der SPD. Anträge der CDU, die Finanzierung wieder aufzunehmen, wurden in den Bremer Haushaltsberatungen seither regelmäßig abgelehnt.

Gestern stellte die CDU ihn erneut. Zwar ohne Hoffnung auf Zustimmung, dafür aber als willkommene Chance zur Abrechnung mit sozialdemokratischer Entspannungspolitik. Forderung der CDU: Bremen solle sofort seine Beiträge für Erfassungsstelle wieder aufnehmen. Das gesamte Material müsse später den „demokratisch legitimierten Ermittlungsbehörden in der DDR“ übergeben werden.

Als „Symbol der Willfährigkeit gegenüber dem SED-Regime“ wertete auch FDP-Fraktionschef Jäger die Bremer Weigerung, sich an der Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen in der DDR zu beteiligen. Jäger Richtung Justizsenator

Kröning: „Sie haben rechtsstaatliche Prinzipien ihrem politischem Kalkül geopfert. Eine für einen Justizsenator untragbare Haltung“.

In der Debatte hatte auch Kröning eingeräumt, daß „in Salzgitter Material für die Aufklärung und Verfolgung von Straftaten vorhanden ist, das im Zuge Schaffung freiheitlich -rechtsstaatlicher Verhältnisse auch im anderen Teil Deutschlands benötigt wird.“ Dennoch, so Kröning, mache es heute keinen Sinn mehr, „die finanzielle Förderung einer Stelle wieder aufzunehmen, die nach dem politischen Willen aller Beteiligten demnächst geschlossen werden kann.“

Im moralisch-intellektuellen Spagat bewegte sich auch der Grüne Abgeordnete Thomas durch seine Rede. Zumindest in ihrer Praxis sei die Erfassungsstelle jahrelang ein Instrument des Kalten Kriegs gewesen. Für die Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen in der DDR seien schließlich nicht in erster Linie Verfassungsschutz und BND zuständig, sondern die Bür

gerrechtsgruppen und Untersuchungskommissionen in der DDR selbst. In der Praxis hätten die Mitarbeiter in Salzgitter ihre Zeit ohnehin „vor allem mit Staub wischen“ zugebracht.

Völlig aus dem Konzept geriet Thomas, als ihn sein Fraktionskollege Horst Frehe mit dem Zwischenruf unterbrach: „In den letzten Jahren sind da ohnehin nur noch peanuts dokumentiert wor

den.“ Thomas glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen, bis der CDU-Abgeordnete Pawlik genüßlich verstärkte: „Jetzt wissen wir's, für die Grünen sind Menschenrechtsverletzungen peanuts.“

Bei der Abstimmung über die Frage 2.500 Mark für Menschenrechte enthielten sich die Grünen. Auch das war zuvor noch anders geplant.

K.S.

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