Menschenhandel in Nigeria: „Es könnten auch meine Töchter sein“

Die Behörde gegen Menschenhandel setzt auf Technik, Aufklärung und internationale Zusammenarbeit. Ihre Aufklärungskampagne zeigt Wirkung.

Busfahrer Chuck hängt Plakate gegen Menschenhandel auf Foto: Andrea Stäritz

ABUJA taz | Nigerias Hauptstadt Abuja hat bestimmt hundert 'Motor Parks’. Das sind Busbahnhöfe, Autoreparaturwerkstätten und Restaurants auf ansonsten unbebautem Gelände – gerne auch in der Schleife einer Autobahnauffahrt, oder auf Grundstücken mit ungeklärten Besitzverhältnissen. Die Geräuschkulisse ist immens. An der einen Ecke werden die neusten Videos gespielt, an der nächsten dröhnt ein riesiger Basslautsprecher. Der Wasserverkäufer preist immer gleichen Tonus sein Frischwasser an. Dem Singsang ist das Ursprungswort 'Pure Water’ kaum zu entnehmen.

Aus den Motor Parks geht es in alle Himmelsrichtungen: Kleine Holzschilder stehen auf den Autos: Benin-City, Abia, Warri, Lagos, das sind die Städte der Südroute. „Lalalalalagos!“ wirbt der Fahrkartenverkäufer um Kundschaft. Keine drei Meter weiter preist der nächste seine Fahrt nach „Beeeeeeeeenin“ –City an.

In einem solchen Motor Park hat Chuck Nwaegbe sein Geschäft. Wenn der 34-jährige Nigerianer, stets mit frischgebügeltem Hemd und einem offenen Blick, nicht als Zusteller für Online-Bestellungen im Viertel herumflitzt, fährt er die langen Strecken: von Abuja in die beiden Benins. Zunächst geht es nach Südosten nach Benin-City und von dort aus Richtung Küste, nach Lagos, am Meer entlang zur Grenze zum Nachbarland, der Republik Benin. Die Kontrollen sind ein richtiger Hindernislauf. Die Zöllner und Grenzbeamten sind damit beschäftigt, sich ein Zubrot zu verdienen. Die meisten Reisenden stecken schon vorsichtshalber Geld in die Pässe, um sich Ärger zu ersparen. Aber wer es geschafft hat, ist in gut einer Stunde in Benins Hauptstadt Cotonou, der Drehscheibe des westafrikanischen Frauen- und Kinderhandels.

In dieser Woche fährt Chuck nicht. Deswegen war er im Motor Park als ein paar Mitarbeitern der Nationalen Behörde gegen Menschenhandel und -Schmuggel (NAPTIP) im Motor Park vorbeikamen: Sie luden Fahrer und Schaffner ein, an ihrer Aufklärungskampagne gegen Drogen-und Menschenhandel teilzunehmen. Die Fahrer und Busbegleiter, so ihre Idee, sollen die Behörde informieren, wenn sie Anzeichen für kriminelles Handeln sehen. Wenn sie vermuten, dass Menschen ohne Papiere ins Ausland wollen, wenn ein Aufpasser Pässe einsammelt oder Gruppen von Kindern und Frauen von merkwürdigen Personen begleitet werden. Nun hängt er die Plakate an die Türen seines Büros, um Reisende und Fahrer zu mehr Aufmerksamkeit zu ermahnen.

Telefondienst rund um die Uhr

„Ich hatte von den illegalen Grenzüberquerungen gehört und dass Leute ins Ausland gehen. Die Toten im Mittelmeer, das war im Fernsehen, aber nicht real.“ Auch sein Pfarrer habe von Prostituierten im Ausland gesprochen und davor gewarnt. Die Einladung von NAPTIP kam gerade recht, so Chuck: „Jetzt weiß ich, es könnten auch meine Töchter sein, meine Schwestern, meine Enkel. Jetzt weiß ich, was ich tun muss. Ich rufe die Leute von NAPTIP an“.

Die NAPTIP unterhält eine Telefonauskunft. Sechs Nummern sind rund um die Uhr besetzt. Die Kampagnen sind einer der vier Arbeitsbereiche von NAPTIP, einer paramilitärische Einheit, die fahndet, aufklärt, verhaftet und Zufluchtsstätten für Opfer von Menschenhandel betreibt. Sie arbeiten mit einem eigenen forensischen Labor und einer Abteilung für Aufklärung und Datenaustausch, die eng mit dem weltweiten Polizeinetzwerk Interpol, dem europäischen Polizeinetzwerk Europol und der EU-Agentur Frontex zusammenarbeitet. Seit der Gründung im Jahr 2003 sei man weit gekommen, sagt Godwin Morki, der Direktor der Abteilung Recherche: „Man kann nicht einfach Mauern errichten, um Menschenhandel zu unterbinden“. Man müsse Technik einsetzen, gut ausbilden und in der Lage sein, Straftäter zu entdecken, erklärt er.

Direktor Morki sitzt in seinem Büro. Seine Abteilung Recherche ist für die Dokumentation von Fällen und den Austausch von Informationen zuständig. Die Aufklärungskampagne lebt von seiner Zuarbeit, von anschaulichen Erklärungen, Fällen aus der Praxis, die beschreiben, was Menschenhandel ist.Das Erstellen von Täterprofilen sei wichtig, betont der Kriminologe und unterstreicht die Wichtigkeit von Expertise und ständiger Weiterbildung. „Damit haben wir dann die Situation im Griff“, sagt er.

Schutz und Strafverfolgung

Seit 2003 wurden hier 4.240 Verdachtsfälle von Menschenhandel registriert, knapp 10.000 Opfer aus den Fängen der Schmuggler befreit. Die Behörde ist eine Strafverfolgungsbehörde. Das heißt sie darf ermitteln und verhaften. Für die Opfer von Menschenhandel betreibt die NAPTIP neun Schutzhäuser, in denen sie sechs Wochen lang betreut werden. Seit ihrer Gründung im Jahr 2003 wurden 291 Menschenhändler verurteilt. Das ist für Nigeria eine sehr hohe Anzahl.

Die Effizienz dieser Behörde resultiert aus ihrer Sonderstruktur. Bei NAPTIP fließen die Fäden von internationalen Ermittlungen von Interpol, Europol und Frontex zusammen, hier wird auf nationaler Ebene die Arbeit von Einwanderungsbehörde, Polizei und Geheimdiensten koordiniert. Verdachtsunabhängige Razzien oder Kontrollen führen sie allerdings nicht durch. Die Verfolgung von Tipps von Fahrern und Reisenden sowie Informationsaustausch mit internationalen Behörden wie Interpol sind da schon ergiebiger. Die Medienkampagne im Radio und mit den Transportunternehmen mobilisiert den Normalbürger, so wie Chuck, der vor seinem Büro sitzt und mit ein paar Kollegen schwatzt und die Reisenden beobachtet.

Man müsse sich einmischen, unterstreicht der Automechaniker James Olu. Der 24-Jährige fährt auch manchmal als Busbegleiter mit. Die Schulung von NAPTIP habe ihm vieles gelehrt. „Direkt fragen bringt nichts, man muss die Mädchen in ein Gespräch verwickeln, um zu wissen, was da los ist“, ergänzt Chuck. Er mache Witze mit den Mädchen, um herauszufinden, wohin sie wirklich wollen. Ja, die Rolle eines Detektivs, die gefällt ihm doch sehr gut.

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