: Menschen wie du beziehungsweise ich: Wohlgetane Von Claudia Kohlhase
Woran merkt man eigentlich, daß eine Wohltat wohltut? Oder daß man überhaupt eine vor sich hat? Manchmal genügt nämlich nicht mal die Wohltat an sich, und man liegt da und denkt ununterbrochen Wohltat, Wohltat, Wohltat, und trotzdem stellt sich keine ein. Obwohl doch unter dir eine wohltuende Fangopackung liegt! Aber du hast das verdiente Glück, in eine alternative Massagepraxis geraten zu sein. Und weil da alles etwas lockerer zugeht, sind auch die Kabinen ganz locker mit Vorhängen abgeteilt. Und wo keine Vorhänge hängen, da stehen die Türen auf. Darum fühlt man sich in einer alternativen Praxis nie ausgeschlossen und kann sich, wenn man will, gleich mal die neuen Termine der Nebenpatientin mitmerken, immerhin sechs und zu allen möglichen Uhrzeiten, bloß montags geht's nicht, und Freitagabend ist auch schlecht. Die Behandlungscrew ist noch lockerer als ihre Vorhänge und hat direkt neben meinem ihre Kräuterteeküche.
Im Grunde ist es natürlich schön zu wissen, von derart munteren Menschen behandelt zu werden. Aber wo du grade mal so nett in der Wärme versackst und glatt regredieren könntest, sind nebenan sexuelle Probleme junger Mütter in vollem Gange. Speziell die Potenzschwäche des neugeborenen Vaters wird heiß diskutiert, wobei die Lösung sein soll, sich und dem Partner Zeit zu lassen.
Ja, Zeit ist gut, denkst du, und daß vielleicht auch die Zeit der Fangopackung gekommen ist, weil dein Steißbein schon kokelt. Aber wer denkt jetzt an Fangopackungen, wo man hinterm Vorhang grade die Vorzüge von Tantragruppen bei verkrampfter Sexualität per se diskutiert. Ich zucke schuldbewußt beim Stichwort Verkrampfung, schließlich bin auch ich deswegen gekommen, wenn auch bloß schultermäßig. Langsam entspannt sich drüben aber die Lage, vor allem dank des Stimmbildungskurses einer Kollegin. Einige kleine Lautübungen heben die Stimmung beträchtlich, so daß durch gezieltes gemeinsames Lachen auch die letzten inneren Blockaden aufweichen und an die Arbeit gegangen werden kann, also zu mir.
Jetzt muß ich natürlich erst mal ausgewickelt werden, bevor's zur Massage geht. Ah, da kommt draußen grade eine alte Kollegin zum Plaudern, und so kann ich in aller Ruhe auskühlen.
Erstaunlicherweise kommt sie zurück und drückt auch sofort vehement den entscheidenden Muskelstrang, daß ich quietsche, aber bloß innerlich, nachher geht sie wieder. Bald spricht sie zu mir, und ich habe Glück: Es ist nicht die junge Mutter, sondern die Stimmgebildete. Und so kommen wir bzw. sie schnell zu der Ansicht, daß Stimmbildung ein Ausdruck von Lebensfreude ist. Das kann ich nur bestätigen, allerdings in kürzeren Sätzen, weil die Zähne in der Bauchlage so in die Backe drücken. Bei der besonders gemeinen Muskelansammlung unter dem linken Schulterblatt erzählt sie mir endlich von ihrer Lieblingsstelle am Fluß, an der sie ihre Singübungen macht, daß die Enten prusten. Und komisch: Das ist auch meine Stelle. Und quasi meine Enten. Und trotz meiner schwierigen Backenlage sprechen wir nun von Stellen, Enten und Fips, dem dummen Hund von der alten Frau. Auf einmal mußten wir sehr lachen. Eventuell auch laut. Denn vom Nebenraum bat man um Ruhe. Das fand ich jetzt doch merkwürdig.
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