Menschen im Hotel: Das Traditionelle ist der neue Hype
Von enttäuschten Thesen und bestätigten Mythen. Oder: Ein Wochenende im Dienste der Kunst im berühmten Hotel "Baur au Lac" am Zürichsee.
S türmt man zu schnell aus dem Zimmer und hat Pech, könnte man einem anderen Hotelgast, der gerade den Flur entlanggeht, ganz schön einen vor den Latz knallen, um es mal so zu sagen. Warum die Türen zum Gang hin aufgehen, ist nicht mehr zu eruieren. Es ist eben so, und nach Denkmalschutzbestimmungen hat es so auch zu bleiben. Selbst nachdem das Haus jetzt für die neueste technische Infrastruktur wie Wireless LAN weitgehend entkernt und anschließend nach den alten Bauplänen wieder rekonstruiert wurde.
Wahrscheinlich ist es aber die ein oder andere derart charmant-verschrobene, nicht ganz perfekt gelöste Besonderheit, die ein Haus erst perfekt, weil unverwechselbar macht. Die Zimmertüren im "Baur au Lac" also gehen seit wahrscheinlich 160 Jahren nach außen auf. Seitdem der aus Vorarlberg stammende Johannes Baur 1844 in Zürich, direkt am See, ein Hotel mit dem denkbar schönsten Blick auf die Alpen eröffnete. Die damals noch vor der Stadt gelegene Villa bezeugt nicht nur in gastronomischer Hinsicht einen großen zivilisatorischen Fortschritt. Schließlich wurde sie auf dem zugeschütteten alten Kriegshafens (sic!) errichtet. Das muss ein gutes Omen gewesen sein. Knapp 50 Jahre später heckte Bertha Baronin von Suttner in den Räumen des Baur au Lac die Idee für den Friedensnobelpreis aus, indem sie den schwedischen Industriellen Alfred Nobel entsprechend in die Mangel nahm. Das Baur au Lac gehört also zu den ganz großen Hotels dieser Welt. Groß im Sinne von mythenumwoben, denn mit nur 124 Zimmern auf vier Etagen ist das Haus so riesig nun nicht.
Bewege ich mich jetzt als Journalistin plötzlich in der beeindruckenden Halle der Lobby, dem Restaurant oder dem Park, gar nicht davon zu sprechen, dass ich in einem der elegant eingerichteten Zimmer mein müdes Haupt zur Ruhe bette - weil ich das Kunstprogramm des Hotels persönlich in Augenschein nehmen soll -, dann scheint mir die Einladung nur weiterer Beleg für meine These, dass ohne zeitgenössische Kunst heute nichts mehr geht. Und das interessiert mich dann doch, ob sich selbst ein solches Hotel nur dann auf der Höhe der Zeit wähnt, wenn es seinen Garten mit modernistischen Plastiken bestückt.
Zum Glück stimmt es nicht. Louise Bourgeois "Spinne", George Condos "Hommage an Miles Davis" oder Sophia Varis "König und Königin" sind schon abgebaut, und statt in den Garten gehe ich in die Oper. Richard Wagner mag, selbst singend und am Klavier von seinem Schwiegervater Franz Liszt begleitet, im Baur au Lac den ersten Akt der "Walküre" welturaufgeführt haben, die Wiederaufnahme von Verdis "Nabucco" im kleinen Zürcher Opernhaus mit seinem perfekten Orchester lohnt die Anreise in jedem Fall. Nein, das Baur au Lac bleibt gediegen in seinem Ambiente und traditionell in seinem Kulturprogramm. Was in heutiger Zeit dann wirklich außerordentlich ist. Und dem Angebot, sich im Löwenbräu-Areal jederzeit über den letzten Hype der Gegenwartskunst wie Terence Kho informieren zu können, ja nicht entgegensteht.
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