: Mensch, Sieling, Mann!
Betr.: „Kirchhof – ein ‚Gegner Bremens‘“, taz vom 26.8.2005
Herr Dr. Sieling positioniert sich in diesem Interview entsprechend der Logik in Wahlkampfzeiten: Abgelehnt wird, was der politische Gegner vorschlägt. Kirchhoff will das Ehegattensplitting beibehalten. Sieling will es abschaffen. Nun gibt es viele gute Gründe, darüber zu streiten, ob der Familienstand ein sinnvolles Kriterium für Steuergerechtigkeit ist. Fakt ist, dass Menschen, die abhängig beschäftigt sind, nicht nur Steuern, sondern in aller Regel auch Sozialversicherungsbeiträge zahlen. D.h., die in einem Beschäftigungsverhältnis stehenden Menschen, darunter auch solche, die Ehepartner sind, zahlen beide. In anderen Paarkonstellationen mit nur einer Erwerbsperson profitiert eine/r davon, dass der oder die andere arbeitet und für ihn/sie mitbezahlt ist. Der eigentliche Diskussionspunkt muss doch ein anderer sein: Wie können die Menschen, die es schaffen, Berufstätigkeit und das Großziehen von Kindern unter einen Hut zu bringen, für diese Doppelbelastung gesellschaftlich und finanziell entlastet werden. Dieser Zusammenhang interessiert Herrn Sieling allerdings nicht. Er identifiziert berufstätige Frauen, die einen Arzt oder Steuerberater geheiratet haben, über den Beruf ihrer Gatten. Herr Sieling kann sich offensichtlich nicht vorstellen, dass auch Frauen eigenständige Persönlichkeiten sind, die nicht den Beruf ihres Mannes benötigen, um ihren gesellschaftlichen Platz zu bestimmen. Wirklich schlimm an der Argumentation aber ist, dass damit allen Frauen, die es wagen, ungeachtet der Profession ihrer Männer und trotz der Profession ihrer Männer ihren eigenen beruflichen Weg zu gehen, unterstellt wird, ungerechtfertig zu profitieren. Noch schlimmer ist, dass so etwas in Wahlkampfzeiten offensichtlich zu einem Argument wird, mit dem Mann gewählt werden will.
Dr. Rita Kellner-Stoll