: Melting Pot Toronto
Auf der Breminale ist das kanadische Konzertprojekt „Sonic Weave“ zu Gast. Alle Musiker des Staates durften sich bewerben – sechs sind auserwählt als Botschafter des kanadischen Stilmixes
In Kanada kümmert sich die Kulturpolitik noch um die Künstler! In welchem anderen Land ist es heutzutage noch möglich, dass eine Konzerttournee auf einem anderen Kontinent fast ausschließlich durch die Kulturförderung finanziert wird? Das kanadische „Council for the Arts“ präsentiert mit dem „Sonic Weave Project“ sechs kanadische Formationen, die „eine Momentaufnahme“ davon bieten, was gerade in der dortigen Musikszene passiert. So Sandra Bender vom Council, die die Tour organisiert hat und begleitet. Zur Auswahl sagt sie: „Jeder kanadische Musiker konnte sich bewerben“. Sie hätten schließlich„über 300 Anmeldungen“ gehabt. Nach den Auswahlverfahren blieben jene sechs übrig, die „die große Bandbreite der in Kanada komponierten und gespielten Musik am eindrucksvollsten illustrieren.“
Tatsächlich ist die Vielfalt der Musik verblüffend. So beginnt das Programm am Mittwoch um 20 Uhr auf der Weltbühne mit einer stöhnenden Hochschwangeren. Dass Tanya Tagaq Gillis gerade ihr Baby im siebten Monat austrägt, ist ganz sicher nicht so geplant gewesen. Wegen der Belastung wird sie auch nur etwa 20 Minuten lang auf der Bühne stehen. Aber irgendwie passt ihr riesiger Bauch auch zu den sehr körperlichen, sinnlichen Tönen, die sie in der Tradition des Kehlgesangs der Inuit nicht nur mit den Stimmbändern, sondern scheinbar mit dem ganzen Oberkörper erzeugt. Das Arktisch-archaische trifft auf das Urban-moderne, wenn der DJ Michael Deveau sie mit elektonischen Klangfeldern und Rhythmusteppichen begleitet. Eine radikale Mischung, die nach dem ersten Schock faszinierend organisch wirkt. Tanya Tagaq Gillis erklärt dies so: „Das ist im Grunde ganz einfach, denn das Erste, was jeder Mensch hört, ist der Herzschlag der Mutter, und darauf basieren auch die elektronischen „Beats“ von Michel.“
Dass ein Plattenspieler auch wie ein Instrument gespielt werden kann, beweist dann der international renommierte DJ Kid Koala, der mit einer irrwitzigen Virtuosität und Originalität seine Platten bearbeitet und durch „Mad Mixes“ verfremdet. So verformt sich etwa unter seinen Händen „Moon River“, die Lieblingschnulze seiner Mutter, in eine zugleich hochoriginelle und hochkomische Neuversion, die man wohl nie mehr ganz aus den Ohren herausbekommen wird.
Aus der klassisch indischen Tradition der Raga und Tala schöpft die Band Tasa, die das Programm am Donnerstag um 20 Uhr eröffnet. Der Tablaspieler Ravi Naimpally gründete diese Band, die mit E-Gitarre, Saxophon und E-Bass eine süffig klingende Melange aus verschiedensten Stilformen schafft. Für Naimpaljkl lly ist auch dies typisch kanadische Musik, „weil sich besonders in Toronto viele erstklassige Musiker aus den verschiedensten Kulturen treffen“. Einen Verdrängungsprozess gebe es dabei aber nicht.
„Zubot & Dawson“ kommen dann so entspannt und gefällig daher, dass man sich gerne in diese auf Gitarren, Fiedel, akustischem Bass und Schlagzeug gespielten Stücke hineinfallen lässt. Das Grundgefühl ist ländlich, alles scheint beim Bluegrass anzufangen. Aber dann verzweigen sich die Songs in so viele Richtungen, man hört Jazz, Pop, Swing und verschiedene ethnische Einflüsse heraus, dass man über diese Finesse im vermeintlich so Einfachen nur staunen kann.
Dem Klischee von der „typisch kanadischen Musik“ enspricht noch am meisten die letzte Band des Programms: „Les Batinses“ interpretieren auf traditionellen Instrumenten wie Gitarre, Mandoline, Fiedel und Flöte altüberlieferte frankokanadische Stücke, die „fast vergessen sind.“ Wie Ethnologen hätten sie in den Archiven von Quebec und Neufundland nach alten Tonaufnahmen gesucht, erzählt der Gitarrist und Sänger der Band, Mathieu Girard.
Wilfried Hippen
Sonic Weave, Mittwoch und Donnerstag, 20 Uhr, Breminale, Weltbühne-Zelt