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Melanie und die Gruppe 47

■ Melanie und Cliff Eberhardt am Sonntag, Montag und heute im Orchesterboden des Packhaus-Theaters: Weltstars mit Welthits und Weihnachtslied vor 94 ergriffenen Ohren

Nein, das war definitiv kein Weltstar-Abend. Finster war's und windverpustet, daß die gemütlichen Fensterläden rappelten, oben im holzverschalten Sie-müssen -in-die-dritte-Etage-Orchesterboden des Packhaus-Theaters. Ca. 47 Menschen sehr mittleren Alters sitzen niedlich auf Plastiksesselchen in ordentlichen Reihen und gepflegter Unauffälligkeit. Hübsch gestutzte Vollbärte rechts und links von Dir. Sehr merkwürdig alles. Putziges Publikum für einen Weltstar.

Weltstars aber fangen nie so einfach mir nichts, dir nichts an. Erst kommt das Vorprogramm, in grünem Hemd, fein offen oben, Auswaschjeans und tatsächlich schwarzen Westernstiefeln. Das Vorprogramm spielt Gitarre und singt, daß man aufrecht im Sitz sitzt und sich komische Gedanken macht. Herr Cliff Vorprogramm Eberhardt kommt aus New York (das zieht immer bei mir) und krabbelt, kracht, kuschelt über die ihm zur Verfügung gestellten

Gitarrenseiten, daß einem Dinge in den Kopf kommen wie: So eine schlicht verstärkte Konzertgitarre ist ein hübsches Instrument und paßt wirklich gut zur holzverschalten Decke.

Cliff Eberhardt sieht leicht amerikanisch und trotzdem gut aus, ein erotisches Stück Gitarren-Sänger mit einem Haufen wunderbarer Liebeslieder. Er sagt „Hi“ zur Begrüßung und immer ein paar einleitende Worte zu seinen kleinen Kunstwerken, die solch Lieblingszeilen enthalten wie „Ponder these things in your heart/No one sees things the way that you do“. Er schreibt seine Verse wie Kurzgeschichten: als ich mal im Motel war, als ich Geburtstag hatte, eine Romanze in New York oder so. Lieder über das Leben. Keines wie das andere.

Alles irgendwie revolutionär altmodisch, ehrlich und schlicht. Ein gutes Handwerk in ca. 38 Stilrichtungen, eine Stimme jenseits aller blöden Rockmusik -Phrasierungsklischees, wisperröhr- schnarrschmelz und schön laut ist sie auch.

Das Vorprogramm kommt Gottseidank wieder zum Hauptprogramm als Begleitung. Auch Melanie - die Melanie Safka, geboren 1947 in New York, verheiratet, drei Kinder, 22 veröffentlichte LPs seit '68, 25 Millionen verkaufte Platten („Beautiful People“, „Candles in the Rain“, Coverversion des Rolling Stones-Hits „Ruby Tuesday“ etc.), erste in die Metropolitan Opera, Carnegie und Royal Albert Hall zugelassene Pop-Frau, 2 Jahre Repräsentantin der UNICEF und gerade auf 47-Städte-Europa-Tournee - die Melanie also sagt auch einfach „Hi“. Und daß sie einen Glühwein getrunken hat Hihihi. Das sagt sie mehrfach.

Es ist aber auch zum Glühweintrinken. 47 brave Leute für einen Weltstar. Jedem kann man ins Gesicht gucken, mächtig intim. Rührende Niemand-liebt-mich-mehr-schnief-schon-o.k. -Stimmung. Wir konnten nichts dafür. Wir waren da. In London, letzte Woche, aber waren es noch 2.000.

Weil wir so nett zu ihr sind (jemand wünscht sich zwar versehentlich ein Joan Baez Stück von Melanie, meint das aber bestimmt nicht so), werden wir schöne 1 1/2 Stunden zugesungen mit brätschig-glockenheller Ruby-Tuesday -Stimme, bekommen Kleinode wir „Prematurely Grey“ und „Champagner-Song“ um die 94 Ohren geschmeichelt und auch ein paar kleine Durchschnittsliedlein. Das macht aber nichts. Und ganz zum Schluß noch den „Christmas-Song“ passend zu Wetter und Fensterladengerappel, weil Melanie will, daß wir ihn hören. So persönlich war das.

Petra Höfer

Melanie / Cliff Eberhardt, heute, 20 Uhr, Orchesterboden Packhaus-Theater

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