Meisterwerk der Ingenieurskunst: In der Dose durch den Baggermatsch

Auch nach 100 Jahren hält Hamburgs Alter Elbtunnel noch immer dicht. Beim Bau war ein tückisches Problem die Taucherkrankheit, die drei Menschen das Leben kostete.

Riesenbohrer mit Besatzung: Ganz rechts liegt der Vortriebsschild. Auf Loren wird das abgegrabene Material zum Ausgang gerollt. Bild: Bundesingenieurkammer

HAMBURG taz | Als Location ist er eine Wucht: Im Sat 1-Film "Restrisiko" etwa hastet Ulrike Folkerts bei trübem Licht durch den Alten Elbtunnel. Nach einem AKW-Unfall, so das Szenario, dringt sie in ein strahlenverseuchtes und evakuiertes Hamburg ein. Der mit Kacheln geschmückte Tunnel mit seinen engen Röhren und seiner altertümlichen Fahrbahn bietet dafür eine hervorragende Kulisse. Natürlich hätte die Film-Crew auch im Kanalsystem drehen können - das aber wäre bei weitem nicht so malerisch gewesen.

Der Alte Elbtunnel wird dieser Tage 100 Jahre alt. Zu seiner Zeit galt er als technische Meisterleistung. Die Bundesingenieurkammer wird ihn zum Jahrestag der Eröffnung am 7. September mit dem Titel "Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst" schmücken, so wie vor ihm die Schwebefähre Osten-Hemmoor im Alten Land oder den Leuchtturm "Roter Sand" weit draußen vor Bremerhaven.

Gebohrt wurde der Tunnel unter Überdruck im bis heute gängigen Schildvortriebsverfahren. Fünf Menschen haben ihn mit ihrem Leben, viele weitere mit ihrer Gesundheit bezahlt - dafür wurde der gesetzte Kostenrahmen eingehalten. "Der Tunnel funktioniert immer noch, er ist noch dicht", schwärmt Jens Karstedt, Präsident der Bundesingenieurkammer. "Das ist Nachhaltigkeit pur."

Das Buch zum Jubiläum, "Der Alte Elbtunnel Hamburg" von Sven Bardua, ist bereits erschienen. Es kann bei der Bundesingenieurkammer für 9,80 Euro bestellt werden unter 030 / 25 34 29 01 oder www.bingk.de/order-hw.

Eine Ausstellung zur Geschichte des Alten Elbtunnels und der übrigen Tunnel Hamburgs zeigt vom 8. September bis zum 18. März kommenden Jahres das Hamburger Museum der Arbeit. Die Ausstellungsmacher gehen insbesondere auf die Arbeitsweise und die Entwicklung der Stadt ein. Dabei wollen sie unter anderem zeigen, wie eine Schildvortriebsmaschine funktioniert.

Als der Tunnel 1907 begonnen wurde, war die Elbe bereits kein unüberwindliches Hindernis mehr: Seit 1876 gab es die Elbbrücken, dazu kam ein reger Fährverkehr. Beides schien nicht mehr auszureichen angesichts des Hafenwachstums und der Werften auf Steinwerder: Auf der Elbinsel betrieb Blohm + Voss das größte zusammenhängende Werftgelände der Welt. 20.000 Werft- und 25.000 Hafenarbeiter schufteten südlich der Elbe. Wer über die Brücken fuhr, brauchte anderthalb Stunden zur Arbeit. Und den Fähren kam das Gewusel aus Dampfern, Rahseglern und Schuten in die Quere.

Zwei Varianten zur Lösung des Problems diskutierte der Senat: eine Schwebefähre und eine Brücke. Wegen der Großsegler hätte diese mehr als 60 Meter hoch werden müssen, dazu wären riesige Rampen gekommen. Um ein Vielfaches günstiger: ein Tunnel, wie er in Glasgow und Berlin gebaut worden war. Statt Rampen wurden Aufzüge und Treppen geplant, die in zwei riesigen Schächten die Massen in die Tiefe bringen sollten.

"Unterwassertunnel gelten im Tunnelbau als Königsdisziplin", sagt Sven Bardua, der für die Ingenieurkammer ein Buch über den Alten Elbtunnel verfasst hat. Der Hamburger Journalist hat die Geschichte des Tunnels umfassend recherchiert und aufgearbeitet. "Mit einer Dose durch den Baggermatsch zu fahren", sagt er, "ist nicht so einfach."

Die "Dose" ist der Bohrschild: ein großer Zylinder an der Spitze der Schildvortriebsmaschine, von dem aus Arbeiter die Erde abgruben. Heutzutage erledigt das ein maschinengetriebenes Schneidrad. Hinter dem Bohrschild versteiften Arbeiter die Tunnelwand mit Eisenringen aus mehreren Segmenten, sogenannten Tübbings. Mit dem Vortrieb des Bohrers wurde Eisenring an Eisenring gelegt und vernietet. Bis dahin waren die Segmente nur verschraubt worden.

Die Schlitze zwischen den Ringen und Segmenten wurden mit Blei abgedichtet, ein Verfahren mit dem Vorteil, dass undichte Stellen durch Nachklopfen repariert werden können. Wegen der Bleischmelze stiegen die Temperaturen in der Maschine indes auf bis zu 42 Grad.

Für die schwere und gefährliche Arbeit heuerten die Tunnelbauer vor allem junge Kräfte an, viele aus dem Ausland. Zwei Arbeiter wurden in den Schächten von einem herabfallenden Balken und einer Betonstampfe erschlagen. "Es wurden Lohn- und Arbeitsverhältnisse eingeführt, wie sie weder in Hamburg üblich sind noch den berufsgenossenschaftlichen Anforderungen entsprechen", schrieb 1908 das SPD-nahe Hamburger Echo. "Es kann den Behörden nicht gleichgültig sein, unter welchen Umständen ein wichtiges Staatswerk zu Stande kommt."

Es gab Proteste und Streiks, nicht zuletzt wegen der Bedingungen, unter denen in der Schildvortriebsmaschine gerackert werden musste: Um nicht Sand, Schlick oder Wasser eindringen zu lassen, setzten die Ingenieure die ganze Maschine unter Druck. Eine Betonwand dichtete sie zum Tunneleingang hin ab. Darin eingelassen waren zwei Druckschleusen: eine für Material, eine für Menschen.

Die Schleusen sollten zum einen verhindern, dass der mühevoll aufgebaute Druck beim Schichtwechsel aus der Maschine entwich, zum anderen boten sie die Möglichkeit, der Taucherkrankheit vorzubeugen, wenn sich Menschen längere Zeit darin aufhielten, um sich an den niedrigeren Außendruck anzupassen.

Wie Bardua schreibt, war das Wissen über die Taucherkrankheit damals noch gering. Längere Dekompressionszeiten konnten erst durchgesetzt werden, nachdem beim Schachtbau am Südende des Tunnels immer mehr Arbeiter krank geworden waren. Dieser Schacht wurde unter einer Senkglocke gegraben.

Die Druckluftkrankheit habe sich "als besonders tückische Gefahr erwiesen", schreibt Bardua. Zwei Arbeiter und ein Ingenieur der Firma Holzmann verstarben daran. Von 4.400 untersuchten Arbeitern, Ingenieuren und Beamten erkrankten 615 leicht und 74 schwer. Einige von ihnen wurden zu Invaliden.

Um das Problem in den Griff zu bekommen, wurde 1909 der Neurologe Arthur Bornstein als "Pressluftarzt" eingestellt. Zusammen mit seiner Frau Olga Adele, ebenfalls Ärztin, erforschte er auf der Baustelle die Krankheit. "Mit ihrer Arbeit", so Bardua, "schuf das jüdische Ehepaar Grundlagen für die heutige Druckluftmedizin."

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