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"Meister Propper" gewinnt Tour de FranceSieger ohne Fans

Radprofi Carlos Sastre gewinnt die Tour de France. Viele hätten sich einen anderen Sieger gewünscht, denn nun wird wieder über Doping spekuliert.

Ein Sieg, der mehr Fragen als Jubel aufkommen lässt: Sastre auf dem Weg zum Tour-Gewinn. Bild: ap

PARIS taz Nach zwei Minuten der beklemmenden Stille platzte Brian Nygaard der Kragen. "Wenn ihr keine Fragen habt, ist mir das auch egal, dann gehen wir eben wieder", blaffte der Pressemann des Teams CSC die versammelte Medienmeute am Samstagabend an, die offenbar nichts vom neuen Tour-Sieger Carlos Sastre wissen wollte. Zaudernd und wohl vor allem aus Höflichkeit richteten daraufhin die Journalisten doch noch das Wort an CSC-Fahrer Sastre.

Sastre ist kein Wunschsieger der Fans und der Medien. Nur widerwillig wendeten sich am Wochenende die Radsportreporter ihrer Pflicht zu, über den Madrilenen zu berichten. Der hagere kleine Mann mit den großen braunen Augen, in seiner Laufbahn klagloser Helfer größerer Champions, ist still, freundlich und zurückhaltend. Er verströmt kein Charisma und er polarisiert auch nicht.

Nicht einmal, dass er sich in seinen elf Jahren als Radprofi nichts hat zuschulden kommen lassen, befördert seine Beliebtheit. Es gibt nicht den geringsten konkreten Verdacht gegen ihn, in seiner spanischen Heimat nennen sie ihn wegen seiner Aufrichtigkeit sogar "Don Limpio" - Meister Propper. Populär ist er deshalb dort trotzdem nicht. "Wenn die Leute in Spanien an Radsport denken, denken sie an Alejandro Valverde oder an Alberto Contador", sagt Carlos Arribas von der Tageszeitung El País. Dass sowohl Valverde als auch Contador in den Akten des notorischen Dr. Fuentes auftauchen, ändert daran nichts - die Leute mögen lieber flamboyante mutmaßliche Betrüger als brave Schweiger.

Zusätzlich zu seinem Mangel an Ausstrahlung hat Sastre das Handicap des schlechten Timings. Jede herausragende Leistung wird derzeit von Skepsis begleitet - sogar die von "Don Limpio". So natürlich auch der couragierte Ritt von Sastre hinauf nach LAlpe dHuez, mit dem er das Gelbe Trikot im Sturm nahm. Dass er dabei deutlich hinter den Leistungswerten von Lance Armstrong, Marco Pantani und anderen Heroen aus der Epo-Ära zurückblieb, half ihm wenig.

Statt Bewunderung trug der Triumph Sastre Fragen ein. Fragen nach seiner Vergangenheit und nach seinen Verbindungen. Sastre fuhr vier Jahre unter Manolo Saiz bei der spanischen Mannschaft Once, deren Nachfolgeorganisation Liberty Seguros im Zentrum des Fuentes-Skandals stand. 2006 wurde ein System systematischen Dopings bei Liberty aufgedeckt, das Team löste sich auf, und Saiz zog sich gezwungenermaßen aus dem Radsport zurück.

Sastre hatte sich zwar schon 2001 im Streit von Saiz getrennt doch das verhinderte nicht, dass er sich erneut für die Verbindung rechtfertigen musste. Seine dabei ausweichenden Äußerungen schadeten wiederum seiner ohnehin unterentwickelten Beliebtheit. "Ich kann nicht beurteilen, ob er etwas Falsches getan hat oder nicht", sagte Sastre. Die französische Sportzeitung LEquipe legte ihm das als "verpasste Gelegenheit" aus, klar gegen Doping Stellung zu beziehen.

Eine andere Verbindung brachte Sastre am Samstag selbst ins Spiel. Als er mit der Gewissheit des sicheren Tour-Siegs über die Ziellinie fuhr, bekreuzigte er sich und zeigte gen Himmel - eine Huldigung an seinen verstorbenen Freund und Schwager Jose Maria Jimenez, wie Sastre später erklärte. Der einstige Liebling der spanischen Radfans war 2003 in einer psychiatrischen Anstalt einem Herzversagen erlegen. Er hielt sich dort wegen exzessivem Drogenkonsum auf. Die Spekulationen, dass er auch mit Dopingmitteln hantiert hatte, kursieren trotz fehlender Anhaltspunkte bis heute.

Natürlich wurden anlässlich von Sastres Tour-Sieg auch noch einmal die offenen Fragen um die Glaubwürdigkeit seiner derzeitigen Mannschaft CSC sowie die Rolle des Spaniers dort aufgetischt - Teamchef Bjarne Riis mit seinem wenig reuigen Dopinggeständnis im vergangenen Jahr, die Verdächtigungen gegen die Brüder Schleck, Sastres Dienste für die später überführten Doper Tyler Hamilton und Ivan Basso bei deren größten Erfolgen zwischen 2002 und 2005. Sastre lobte wiederum ausweichend als Antwort seine derzeitige Mannschaft. Dann bedankte er sich bei den Journalisten für die doch noch erbrachte Aufmerksamkeit und zog sich zurück. Die Freude über seinen Tour-Sieg, das war ihm bei seinem Presseauftritt wohl klar geworden, konnte er im Stillen besser auskosten. Der Öffentlichkeit konnte er es nicht recht machen. Das wäre aber 2008 wohl auch keinem anderen Tour-Sieger gelungen.

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1 Kommentar

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  • SI
    Steffen Ille

    Danke.

    Ich danke Ihnen für diesen unaufgeregten Artikel, der der derzeitigen Situation des Leistungsradsportes angemessen erscheint.

    In einem Sport, der offenkundig und seit Jahrzehnten vom Doping dominiert wird, ist leider an jeder Leistung zu zweifeln.

    Nichtsdestotrotz sollte man nie die Möglichkeit außer Acht lassen, daß sich

    a) etwas tut und

    b) nicht zwangsläufig jede herausragende Leistung auf Doping beruhen muß.

    Insbesondere, da diese Tour so knapp und ergebnisoffen war wie seit Jahren nicht mehr.

     

    Es ist dem radsport zu wünschen, daß es gelingt, das Doping dort soweit einzugrenzen, wie dies in anderen Sportarten gelungen ist.

     

    Die Crux, von der eigenen Leistung existentiell abhängig zu sein, wird allerdings in einer Profisportart immer zur Versuchung führen. Denn man sollte bedenken, daß nur eine geringe Anzahl von Fahrern wirklich mehr Grundgehalt erhält als ein mittlerer Angestellter - und das bei üblichen Einjahresverträgen...