Meinungsfreiheit: Der Heinsohn-Faktor
Darf ein Parlament einen emeritierten Professor rügen, weil er mit sozialdarwinistischen Thesen in Großzeitungen gegen Hartz-IV-EmpfängerInnen hetzt? Vielleicht muss es das sogar. Ein Lehrstück aus Bremen.
Schon wieder Heinsohn, denkst du, warum jetzt schon wieder diese Aufregung um Gunnar Heinsohn? Am Donnerstag debattiert die Bremische Bürgerschaft über den pensionsberechtigten Professor der örtlichen Uni, genauer: Sie soll sich, auf Antrag der Linksfraktion, von Äußerungen Heinsohns distanzieren: die FAZ und Die Welt vor rund einem halben Jahr als Gastbeiträge publiziert hatten, und von denen Auszüge dann auch in Bild zu lesen waren. Im Wesentlichen empfahl der Emeritus mit durchaus zweifelhaften Meriten darin, Hartz-IV-Empfängern das Kinderkriegen zu vergällen. Das würde die Kriminalitätsrate mindern. Und das allgemeine Bildungsniveau anheben.
Olle Kamellen? Durchaus. "Wir haben auch überlegt, ob wir den Antrag nach so langer Zeit noch aufrecht erhalten", sagt Peter Erlanson, Chef der Landtagslinken, gestellt hatten sie ihn im Frühjahr. Aber andererseits diskutiert die Bürgerschaft ja auch gerade über neue Regeln fürs Schneeschippen. Und nicht alles spricht dafür, Heinsohns Expektorationen einfach radikalrechts liegen zu lassen. Vor allem nicht das, was - jede Wette! - als billiger Einwand gegen den Linken-Antrag zu hören sein wird: Dass man als Parlament doch in die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit eingriffe, wenn man Äußerungen von Uni-Professoren kommentiert.
Denn die Bremische Bürgerschaft war auch in der Vergangenheit nicht davor zurückgeschreckt, die Methoden lokaler Wissenschaftler zu kritisieren, etwa wenn sie an Affen experimentieren. Woran auch gar nichts zu beanstanden ist: Im Gegenteil, im Rechtsstreit in dieser Frage hat das Verwaltungsgericht sogar noch einmal betont, Wertedebatten aufzugreifen sei "Aufgabe des Gesetzgebers" - also der Parlamente. Und so würde auch niemand durch eine allgemeine Resolution gegen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit die Meinungsfreiheit in Gefahr sehen. Bei Heinsohns Äußerungen handelt es sich laut Linken-Antrag um "Beleidigungen", Erlanson nennt sie "Eugenik-Sprüche". Und das ist nicht zu aggressiv formuliert: Auch der honorige Hans Endl, damals Hauptgeschäftsführer der Bremer Arbeitnehmerkammer, heute im Ruhestand wertete die Thesen im taz-Interview als "absolut menschenverachtend". Denn: "Kindern zu sagen, ihr wärt besser nicht geboren - das ist für mich kein Gedanke."
Für Heinsohn allerdings sehr wohl: "Ungeborene", hatte er unmittelbar einleuchtend formuliert, "können niemandem einen Baseballschläger über den Kopf ziehen." Überschüssig sind, - muss man es eigens erwähnen? - in Heinsohns Augen vor allem Kinder mit Migrationshintergrund, die er als "den Nachwuchs eingewanderter Schulversager" bezeichnet.
Nun ja, es hat sich ja auch seinerzeit kein Parlament mit Gloria von Thurn und Taxis beschäftigt, als sie den Afrikanern den Schnacksel-Verzicht empfahl, wegen Aids. Und, legt man die Bewertung durch die Fachwelt zu Grunde, ist Heinsohn tatsächlich so etwas wie die Ulknudel des akademischen Betriebs, die, wie jeder gute Komiker, Überraschungsmomente liebt: Überschaubar ist Heinsohns publizistische Leistung in seinem Fachgebiet, der Sozialpädagogik, ungewöhnlich kreativ aber sein Umgang mit Zahlen und Statistiken, auch im bereits zitierten Welt-Artikel. Dort erwähnt er beispielsweise, dass von 1990 bis 2009 die Zahl der Morde in New York um 80 Prozent zurück gegangen sei. Das mag sein. Der Grund dafür aber laut Heinsohn: Dass die Sozialhilfezahlung radikal auf fünf Jahre beschränkt - und dadurch "auf solche Mittel gezielte Kinder gar nicht erst geplant" würden. Das entsprechende Gesetz gilt seit 1997: Wie hoch aber war wohl der Anteil der 13-jährigen Mörder im Jahr 1990 in New York?
Doch, solchen Blödsinn könnte man lachhaft finden. Aber: Heinsohn findet AbnehmerInnen, ja Fans. Weil sie seine originellen und rhetorisch stets brillant vorgetragenen Thesen für revolutionär halten. Und dass ihn die Massenmedien, nicht aber die Fachwelt als Experten anfragen, stützt dieses Ethos noch: Er ist halt der verkannte Querdenker. Für Verwirrung hat Heinsohn so in der Wirtschaftswissenschaft gesorgt - durch, so die Fachrezensenten, "unhaltbare Hypothesen" zur Eigentums-Theorie. Für Ärger in der Konfliktforschung - durch die Forderung, Hilfsleistungen in Krisengebiete zu unterlassen, um so Kriegen vorzubeugen. Am allerliebsten aber dilettiert er in der Historiografie.
Das ist ein wichtiges Feld, denn dort hat er mit "Die Vernichtung der weisen Frauen" 1985 einen Bestseller gelandet. Dessen These, die frühneuzeitliche Hexenverfolgung wäre ein vor allem kirchlich gesteuertes Programm zur Geburtenkontroll-Bekämpfung gewesen, ist nach wie vor populär - obwohl es sich um die reinste Geschichtsklitterung handelt.
Es wird auch immer wieder neu aufgelegt - obwohl kaum ein zweites Buch je so gründlich und so detailliert widerlegt wurde wie Heinsohns Machwerk: Die Hebammen waren keine bedeutende Opfergruppe, das Geschlechterverhältnis der Opfer war nahezu ausgeglichen und das Reden von "Millionen Opfern" ist mehr als kühne Übertreibung. Genau genommen ist es eine Übernahme der propagandistisch motivierten Nazi-Geschichtsschreibung, der daran gelegen war, die Hexenverfolgung als "beispielloses Verbrechen" zu etablieren. Heinsohn nennt sie sogar "Holocaust".
Als Wissenschaftler könne man Heinsohn und seinen Co-Autoren vergessen, so hat der Trierer Historiker Franz Irsigler deshalb befunden, aber "als Demagogen muss man sie weiterhin ernst nehmen".
Und recht hat er: Heinsohn ist seinerzeit als Linker wahrgenommen worden - wie alle ProfessorInnen aus der Gründerzeit der Bremer Uni. Man hat sein Buch als "feministische" Deutung gedeutet - und dabei allzu gerne übersehen, wie treu es Positionen der Nazi-Propaganda fortschreibt. Wenig später hat Heinsohn das Raphael-Lemkin-Institut für vergleichende Genozid-Forschung gegründet, dessen Sprecher er ist.
Sich von ihm zu distanzieren - das wäre ein Signal. Die Bürgerschaft wird dem Antrag der Linken aber wohl nicht stattgeben. Auch wenn sie das eigentlich tun müsste.
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