Meine Straße (Teil 1): Schlecker oder Polizei
■ Manchmal liegt plötzlich beides recht nahe
Meine Straße also. Hm. Hm. Gehören tut sie mir ja nicht. Recht besehen gehört mir nichts in dieser Straße. Kein Haus, kein Auto, nichts. Ich bin einfache Mieterin und fahre Rad. Meine Straße – wenn ich sie jetzt mal für mich beanspruche – ist übrigens keine so kurze Straße, wie ich immer glaube.
Für mich beginnt sie an der Ecke zur Akazienstraße, bei einem Café, das sinnigerweise „Forum unbekannter Autoren“ heißt, und endet zwei Querstraßen weiter bei einem riesigen Gebäude, in dem die Polizei sitzt. Ein Strafverteidiger hat mich mal darüber aufgeklärt, daß es sich um ein Polizeigefängnis handelt, für den ersten Gewahrsam, bis der Schnellrichter entschieden hat, ob die festgenommene Person in Untersuchungshaft oder frei kommt. Tatsächlich endet meine Straße gar nicht bei der Polizei. Es ist der kleine Wartburgpark und daran anschließend der große Canyon der Martin-Luther-Straße, die darüber hinwegtäuschen, daß meine Straße jenseits der Martin-Luther noch weitergeht. Dort, wo ich übrigens nur hinkomme, wenn ich mit bei Thöner irgendwelche Schreibwaren kaufe, wird sie sogar richtig schön. Sie teilt sich und umschließt eine kleine grüne Insel mit den typischen Berliner Linden und ein paar Parkbänken. Sie erweitert sich also zu einem kleinen, hübschen Platz. Hier geriert sie sich auch ziemlich bürgerlich, mit mächtigen Gründerzeithäusern, vor denen die neuesten BMWs, Mercedesse und Porsches parken.
Auf meiner Seite, diesseits der Martin-Luther-Straße ist sie dagegen eher kleinbürgerlich und die Autos heißen Ford und Opel. Freilich parkt da auch ein schöner weißer Thunderbird, aber der kommt aus Köln, wie das Nummernschild verrät. Das gültet nicht. Mein Freund findet meine Straße sogar ziemlich lang, wenn sie für mich am Wartburgpark – in dem man morgens um neun auch mal Senioren sehen kann, die im Kreis stehen und Gymnastikübungen machen – und beim Jugendzentrum „Weiße Rose“ endet. Für ihn hört sie nämlich schon bei Schlecker, an der Ecke Eisenacher Straße auf.
Schlecker ist in einem postmodernen Neubau untergebracht, dessen Fassade mit weißen Badezimmerkacheln glänzt und der statt einer Hausecke eine pompöse Säule hat. Ansonsten wurde die fehlende Hausecke hinter der Säule mit einer ebenfalls weißgekachelten Treppenform ausgefüllt, die wie eine Art Mini-Amphitheater aussieht. Hier sitzen am Nachmittag die 12- bis 16jährigen Mädels, während die 12- bis 16jährigen Jungs vor der Säule herumstehen. Apropos Schlecker oder Polizei: Einmal bin ich nachts um zwölf die Eisenacher Straße heruntergekommen als bei Schlecker heftig Glas klirrte. Aus dem Eingang, der nicht einsehbar ist, weil das Haus ja postmodern gebaut und damit auch der Ladeneingang irgendwie dreieckig ins Innere des Gebäudes verlegt wurde, kam ein junger Typ hervor, mit einem hochgezogenen Kapuzen-Sweatshirt und einer prall gefüllten Einkaufstüte. Während er da vor mir rauskommt und ich auch schon sehe, daß die Glastür aufgebrochen ist, fährt eines der vielen Polizeifahrzeuge, die hier zwangsläufig häufig herumkurven, so in die Kreuzung, daß man annehmen müßte, die Bullen sollten das eigentlich genau checken. Tun sie aber nicht und fahren seelenruhig die Straße runter, genauso wie der Typ seelenruhig zur U-Bahn geht.
Sonst ist meine Straße ja eher ruhig. Gleich im nächsten Haus gibt's eine Galerie und eine irische Kneipe, die einigermaßen berühmt ist. Bei vielen Taxifahrern reicht es, wenn ich sage, sie sollen mich zum Shannon fahren, daß ich prompt vor meiner Haustür abgesetzt werde. Dann kommt ein Sportplatz, auf dem nachmittags gebolzt wird, eine Sporthalle und ein Kinderspielplatz. Schräg gegenüber ist noch mal ein Kinderspielplatz und eine neogotische Backsteinkirche. Nach ihr ist auch meine Straße benannt. Apostel-Paulus-Straße in Schöneberg. Brigitte Werneburg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen