Mein wunderbarer Vorgarten

Kunst zum Architekturkongress in Berlin (2): Michael Hofstetters und Ulrich Königs’ All-Over-Installation „inverted paradise“ im Projektraum Mathias Kampl

Das Wohnhaus der Moderne ist „ein verschlossener Quell, ein versiegelter Born“

Vorgarten und Eigenheim – das ist das Übliche; den einen Wunsch-, den anderen allerdings Albtraum. Um Raum, Zeit und Architektur neu zu durchdenken, wie es das Ausstellungsprojekt des Bunds Deutscher Architekten und der Staatlichen Museen zu Berlin anlässlich des XXI. UIA-Architektur-Weltkongresses vorschlägt, scheint dieser Schauplatz am wenigsten geeignet. Zu sehr gilt er als der uninteressante Normalfall, in dem die Sehnsucht nach dem Individuellen zum massenhaften Standardfall verkommt. Exakt dieser Situation aber haben sich nun der Künstler Michael Hofstetter und der Architekt Ulrich Königs für ihre All-Over-Installation im Projektraum Mathias Kampl angenommen.

Vorgarten und Eigenheim entpuppen sich bei Hofstetter und Königs freilich als Planspiele, die weit vom Standard abweichen. Wand und Boden des Realraums wurden von ihnen mit Umrisszeichnungen aus dem Computer tapeziert, die zeitlich und räumlich völlig getrennte, konzeptuell aber durchaus verbundene Idealräume veranschaulichen. Der Boden zeigt einen Klostergarten, wie ihn Abt Walahfrid Strabo zur Zeit der Karolinger im Kloster Reichenau anlegte, nach dem berühmten Vorbild des um 820 entstandenen „Idealplans des Klosters St. Gallen“. Der Garten, in dem sich im Anbau von Kräutern, Gemüse und Zierpflanzen die praktische mit der ästhetischen Funktion verbindet, symbolisiert das Paradies. Als Hortus conclusus thematisiert er selbst schon Raum, Zeit und Architektur, denn hier wird der Himmel auf Erden geholt, die göttliche Ordnung in den Boden projiziert. Dass das Unkraut, das Böse draußen gedeiht, versteht sich von selbst.

Den Rabatten am Boden ist an den Wänden der von der Kritik hoch gelobte Entwurf für ein Einfamilienhaus zugeordnet, das Ulrich Königs 2001 entwickelt hat. Der nach außen hin unspezifisch rechteckige Quader besteht im Innern aus einem Hauptraum in Form einer sich verwindenden Röhre, an die sich weitere Individualräume anlagern. Im Aufriss an der Wand erinnert die organische Form an Verner Pantons Wohnlandschaften der Siebzigerjahre; das Konzept der differenzierten Ebenen und Räume lässt an Adolf Loos’ Raumplan denken. In dieses Wohn-, Schlaf-, Kinder- und Badezimmer-Paradies ist wiederum der Hortus conclusus eingeblendet. Dieses Mal als Maria im Rosenhag in Form einer Miniatur aus dem 15. Jahrhundert. Referenz an die Haus- und Ehefrau? Immerhin heißt es im Hohen Lied, auf das das Marienmotiv zurückgeht: „Ein verschlossener Garten ist meine Schwester, meine Braut …“.

„Ein verschlossener Quell, ein versiegelter Born“ nicht minder als der Klostergarten will oder muss auch das Wohnhaus der Moderne sein, eine Monade fürs private Cocooning. Öffentlich ausgestellt ist Michael Hofstetters und Ulrich Königs’ „inverted paradise“ folgerichtig ein unzugänglicher Modellraum – ein Anschauungsraum oder Andachtsraum, darüber zu meditieren, ob uns das so behagt.

BRIGITTE WERNEBURG