■ Mehrarbeit für Lehrer und weniger Schulzeit?: Zeitdiebe und Zeitpioniere
Wir erinnern uns an Momo, die Zeitsparkasse und die grauen Männer. Leblos und gierig, stehlen die Grauen den Menschen ihre Zeit. Herrschaft der toten Arbeit über die lebendige. Nun machen sich graue Gestalten, wie der CDU-Abgeordnete Ost, daran, selbst Kindern einen Teil ihrer Ferien zu kassieren. Nur noch vier Wochen im Sommer. Der vorlaute Ost wurde zurückgepfiffen, denn Kinderkreuzzüge gegen Bonn, das hätte den grauen Männern gerade noch gefehlt. Aber wenigstens die Lehrer sollen mehr arbeiten, da sind sich alle Grauen einig. Was wollen die eigentlich erreichen? Sie könnten doch wissen, daß halbwegs engagierte Lehrer – und von denen gibt es nicht wenige – allemal mehr als 50 Stunden die Woche arbeiten. Daß manche Lehrer den Unterricht auf dem Tennisplatz vorbereiten, ist bekannt. Man müßte sie entlassen können. Wenn die Grauen erreichen wollen, daß noch mehr Lehrer nur noch ihren leblosen Lehrkörper abstellen, mit den Schülern einen Nichtangriffspakt schließen und die Zeit mit Lehrplanmakulatur totschlagen, dann liegen sie mit ihren Parolen genau richtig.
In Wahrheit sind die Schulen den Grauen ebenso egal wie Kinder und Lehrer. Mit der Parole „Mehr arbeiten“ murmeln sie die der ermatteten Fabrikgesellschaft. Mit dieser Moral war Deutschland in der Tat Weltmeister in der industriellen Eiszeit. Die Unteroffiziersmoral der gewissenhaften Anwender wurde ja in den Schulen hervorragend vermittelt. Aber mit dieser Arbeitsmoral kann dieses Land auf dem Weltmarkt nicht mehr bestehen. Die Arbeiten der Schweißer und Monteure werden schneller nach Osteuropa verlagert, als Arbeitsmarktprognosen erstellt werden.
Technologiepapst Hans Jürgen Warnecke, der designierte Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, erwartet, daß ein Drittel der Industriearbeit in den nächsten Jahren verlorengeht – nicht wegen der Rezession, sondern wegen einer neuartigen Krise, einer technologischen. Es fehlt an Innovationskräften, es mangelt an der Phantasie, die Zukunft zu erfinden.
Und da wollen sie uns Ferien, Feiertage und die Muße streichen, damit alle mehr arbeiten? In den Softwarelabors hat man längst entdeckt, daß Muße zu lassen und die Eigenzeit jedes Menschen und seiner Projekte anzuerkennen für die Firma produktiver ist als Stechuhr und Zeitplanwirtschaft. Dort sind Zeitpioniere gefragt. Leute, die was wollen. Die werden als Grenzgänger in Neuland von Apple, IBM und Hewlett Packard umworben. Kohl, Ost und die grauen Konsorten könnten überstimmt werden, wenn die Zeitpioniere bei Apple, in der GEW, in den Straßencafés, auf dem Uni-Campus und ... – wenn sie in der Lage wären, Bündnisse einzugehen. Reinhard Kahl
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