Mehr verdienen bei der Partei: Politiker stellt sich selbst ein
Ein ehrenamtliches Ratsmitglied von „Die Partei“ in Hannover hat sich zum Chef seiner Mini-Fraktion gemacht und verdient seither ganz gut.
Und tatsächlich: Klippert sitzt nicht mehr nur ehrenamtlich in der Regionsversammlung, dem Bezirksrat Nord und ist Ratsmitglied in Hannovers Stadtrat. Er hat seinen Job im Comic-Buchladen gekündigt und ist seit heute hauptberuflich Geschäftsführer der Fraktion „Die Fraktion“, die nur aus ihm und dem Ex-Linken Oliver Förste besteht, dem einzig anderen Partei-Ratsmitglied. Klippert stehen als Vollzeitgeschäftsführer bis zu 72.322 Euro im Jahr zu. Als Ratsmitglied gibt es für den Fraktionsvorsitzenden nur eine Entschädigung von 1.275 Euro pro Monat.
Seit dem 1. November bekommen Klippert und Förste Mittel für die Fraktionsgeschäftsführung. Zu seiner Ämterhäufung sagt Klippert: „Das ist Sache der Fraktion.“ Die dürfe entscheiden, wen sie einstelle. „Er ist Multifunktionär, es ist wichtig, dass er sich professionalisiert“, sagt Klipperts Vize. Außerdem gebe es überall in der Politik „Selbstbedienung“: „Gerade haben wir mit den anderen Ratsmitgliedern auf Staatskosten Leibniz’300. Todestag gefeiert. Das war vom Feinsten“, sagt Förste.
Der Partei steht genau so viel Geld für Personal zu wie anderen Fraktionen: Pro Jahr sind das allein für die Personalkosten 121.454 Euro. Hinzu kommen Sachkostenzuschüsse für Büro und Arbeitsplätze (siehe Kasten). Der entscheidende Unterschied: Die ehrenamtlichen Ratsmitglieder sind üblicherweise nicht bei den Fraktionen angestellt, Klippert jetzt schon.
Die anderen Parteien sind erbost
Entsprechend groß ist die Empörung bei den übrigen Ratsmitgliedern. „Das ist Selbstbedienung vom Feinsten“, sagt der FDP-Abgeordnete Wilfried Engelke. „Herr Klippert wirtschaftet sich in die eigene Tasche“, sagt Jens Seidel, Fraktionsvorsitzender der CDU. Es gehöre zum Ehrenkodex des Rates, dass man sich nicht in seiner Fraktion anstelle. „Ehren- und hauptamtliche Politik gehören getrennt. Klippert bedient sich aber aus beiden Kassen.“
Personalkosten: Laut Verteilungsschlüssel steht der Fraktion eine Stelle für die Geschäftsführung (E 11 nach TVöD) mit 72.322 Euro jährlich und eine Stelle für die Fraktionsassistenz (E 6) mit 49.132 Euro zu.
Büroräume: Die Räume mietet die Stadt. Für Fraktionen bis zu vier Mitgliedern stehen 90 bis 110 Quadratmeter zur Verfügung. Und für jeden neu einzurichtenden Arbeitsplatz gibt es einen einmaligen Sachkostenzuschuss von 7.158 Euro.
Sachkosten für zwei Ratsmitglieder pro Jahr: 4.555,61 Euro Pauschale, 5.387,04 Euro für die Unterstützung ehrenamtlicher Mitglieder, etwa Recherche.
Sachkosten für zwei Bezirksratsmitglieder pro Jahr: 894,76 Euro Pauschale, 402,24 Euro für die Unterstützung ehrenamtlicher Mitglieder, etwa Recherche.
Die SPD-Fraktionsvorsitzende Christina Kastning sieht das ähnlich: „Sonst vermischen sich persönliche Interessen mit Kommunalpolitik.“ Schließlich gebe es eine Verdienstausfallregelung. Ein ehrenamtliches Mitglied eines Parlaments dürfe nicht gleichzeitig Angestellter einer der Fraktionen sein. „Ich weiß nicht, ob der Steuerzahler darüber lachen kann“, sagte Seidel.
Tatsächlich: Der Bund der Steuerzahler, der sich schon am vergangenen Wochenende in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung über Klipperts Vorgehen beschwert hatte, fragte bei der Stadt nach. Die Antwort: Was Klippert getan hat, ist nach allen Erkenntnissen rechtmäßig. Wäre Klippert Beamter, wäre das etwas anderes. Aber als Angestellter der Fraktion verdient er nur Geld nach dem Tarif für öffentlichen Dienst, sonst nichts weiter.
„Wir haben rechtliche Bedenken gegen diese Praxis“, sagt Bernhard Zentgraf, Präsident des Steuerzahlerbunds Niedersachsen-Bremen. In der Kommunalverfassung sei klar geregelt, dass die Ratsmitglieder nur ehrenamtlich tätig sein dürfen. Klippert bekomme die Fraktionsgeschäftsführung aber von der Stadt bezahlt. „Aus der selben Kasse, die er als Ratsmitglied kontrollieren soll“, sagt Zentgraf. Darüber hinaus verstoße es gegen die Gleichbehandlung, wenn andere Abgeordnete „als Ehrenamtliche weiterhin ihren bürgerlichen Berufen nachgehen“.
Der Bund der Steuerzahler wartet jetzt auf eine Einschätzung des Innenministeriums. „Das Verhalten Klipperts deckt schonungslos auf, wie einfach Kleinstfraktionen Geld abgreifen können“, sagt Zentgraf. Wenn das Ministerium das ähnlich sehe, sei es „höchste Eisenbahn, dass etwas unternommen werde“. Die Empörung der Ratsmitglieder nennt er heuchlerisch: „Wir haben den Rat in Vergangenheit mehrfach aufgefordert, die Verteilung zu verändern.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid