Kommentar: Mehr binnen als buten
■ Der Bremer Run auf den Weltkulturerbe-Status verzerrt die Proportionen
Wenn Tourismusmacher zu Welterbeberatern werden, ist Vorsicht geboten. Zu leicht weicht dann die hanseatische Tugend des nüchternen Blicks einer kirchturmsorientier-ten Marktplatzpolitik: Nicht nur das Rathaus, sondern der gesamte Platz mit Schütting, Dom und Bürgerschaft solle UNESCO-Weltkulturerbe werden, hallt es von allen Seiten. Potenzielle „Erben“ sind eben unersättlich.
Selbst die Grünen trompeten, „die ganze gute Stube“ müsse es sein und lediglich die „Junge Union“ beweist Reste von Realitätssinn, indem sie die Weltkulturalität zumindest des Bürgerschafts-Bauwerks anzuzweifeln wagt. Auch die aus dem Kulturreferat verlautende Formulierung, am Marktplatzensemble lasse sich „in europaweit einmaliger Weise“ eine demokratisch-republikanische Grundhaltung ablesen, klingt sehr nach selbsternanntem Superlativ. Ein Blick über den Alpenrand relativiert ihn rasch, etwa der auf die schwindelerregenden Rathaustürme italienischer Städte,durch die sich die Entmachtung der lokalen Oligarchien schon im Mittelalter sinnträchtig ausdrückte.
Gewiss: Auch wir haben ein außergewöhnlich schönes Rathaus, die Güldenkammer gehört zu den Hauptwerken der späten Weserrenaissance, der Roland ist der größte und nirgends sonst als vor unserem Dom reitet ein Bismark.
Trotzdem sollte nicht vergessen werden, welche Dimensionen die UNESCO anvisierte, als sie 1972 ihre „Konvention zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt“ beschloss: Da ging es um Bauten mit Weltwunderformat wie die Pyramiden von Giseh oder die chinesische Mauer. Die UNESCO verlangt den Nachweis eines „außergewöhnlichen universellen Wertes“ der angemeldeten Denkmäler und definiert deren Untergang als „unersetzlichen Verlust für die gesamte Menschheit“.
Mittlerweile wird die „Erbe“-Liste immer länger. Davon profitieren allerdings am wenigsten die armen Länder, obwohl die für den Schutz ihrer bröckelnden Zeugen großer Vergangenheiten sogar Zuschüsse bekommen würden – den weitaus größten Teil des Weltkulturerbekuchens sichern sich die Industriestaaten. In Deutschland stieg die Zahl der Auszeichnungen in den letzten zehn Jahren von acht auf jetzt 24: Das sind mehr, als auf dem gesamten indischen Subkontinent mit seinen Jahrtausende alten Kulturen vergeben wurden. Ägypten gar bescheidet sich mit fünf Eintragungen.
Nun ist es natürlich legitim, dass jede Interessensgruppe Maximalziele verfolgt, die Handelskammer mit dem Schütting also ihren traditionellen Sitz für unverzichtbar erklärt. Doch im Fall des UNESCO-Kulturerbesiegels sollten die Bremer Sinn für Proportionen beweisen. Nicht alles, was binnen als Non-plus-ultra erscheint, behält von buten betrachtet die Gloriole der Einzigartigkeit.
Die UNESCO selbst will der inflationären Entwertung des Gütesiegels Einhalt gebieten und legt ab dem kommenden Jahr strengere Maßstäbe an. Umso peinlicher muss ein Bremer Versuch wirken, sich noch kurz vor Torschluss mit Kind und Kegel in die Gefilde weltkultureller Weihen zu drängeln – wohl wissend, dass er ab dem 1. Januar 2002 chancenlos wäre. Ein so schnell ablaufendes „Verfallsdatum“ sollte die Bremer Entscheidungsträger davon abhalten, sich mit der großen „Rathaus-und-umzu“-Variante zu blamieren.
Henning Bleyl
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