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Archiv-Artikel

Mehr als ein symbol

betr.: „Merz verspielt kündigungsschutz“, „gefühlte sicherheit“, kommentar von Ulrike Herrmann, u. a., taz vom 27. 7. 04

Der kündigungsschutz ist kein instrument zur schaffung von arbeitsplätzen und sollte dies auch nie sein. Der kündigungsschutz ist jedoch bei weitem auch nicht nur ein symbol, der „gefühlte sicherheit“ in unsicheren zeiten vermittelt.

Der kündigungsschutz dient der individuellen gerechtigkeit und ist der kern des arbeitsrechts. Im arbeitsrecht herrscht grundsätzlich vertragsfreiheit. Diese ist jedoch wertlos, wenn sich nicht zwei annähernd gleich starke partner gegenüber stehen. Sozial abhängige arbeitnehmerInnen haben weder die möglichkeit, arbeitsbedingungen individuell auszuhandeln, noch die möglichkeit, gesetzliche oder vereinbarte rechte durchzusetzen, wenn das institut des gesetzlichen kündigungsschutzes aufgehoben wird.

Welcher arbeitnehmer traut sich, vereinbartes weihnachtsgeld einzuklagen, zu unrecht nicht genehmigten urlaub gerichtlich durchzusetzen, ohne rechtliche grundlage verlangte (unbezahlte) überstunden zu verweigern, den gesetzlich zustehenden teilzeitanspruch durchzusetzen oder aber nur die zahlung von tariflichen lohnerhöhungen zu verlangen, wenn er im gegenzug zum arbeitgeber ohne angabe von gründen unter einhaltung der kündigungsfrist gekündigt werden kann?

Nur auf der grundlage des gesetzlichen kündigungsschutzes, der vom arbeitgeber die darlegung gesetzlich festgesetzter gründe zur auflösung des arbeitsverhältnisses verlangt, ist es dem arbeitnehmer als sozial schwächerem vertragspartner möglich, gesetzlich und vertraglich vereinbarte rechte auch tatsächlich durchzusetzen. Der kündigungsschutz ist somit der kern des arbeitsrechts als soziales schutzrecht für den sozial schwächeren und abhängig beschäftigten arbeitnehmer. Auf der anderen seite gibt es keine beweise dafür, dass die lockerung oder die aufgabe des kündigungsschutzes zur schaffung neuer arbeitsplätze führt. Braucht ein arbeitgeber arbeitskräfte, wird er diese auch einstellen. Bereits heute hat er die möglichkeit, mitarbeiter bis zu zwei jahre ohne weitere gründe befristet einzustellen, um einen kurzfristigen oder vorübergehenden bedarf abzudecken. […] KLAUS KETTNER,

fachanwalt für arbeitsrecht, Münster