Mehr Schein als Sein beim „Spiegel“: Anpassungsfähig
Bald-„Spiegel“-Chef Büchner muss mit einem neuen Kompromiss um die Verpflichtung von „Bild“-Mann Blome kämpfen. Dabei passt der doch gut.
„Steht was drin?“ lautete der Titel einer Rubrik, die die taz vor ungefähr zehn Jahren einführte. Unregelmäßig wurden hier die aktuellen Ausgaben von Spiegel und Focus verglichen. Der flapsige Titel des bald wieder eingestellten Formats nahm Bezug darauf, dass es in dem einen oder anderen Mikrokosmos längst als cool galt, zu behaupten, man lese den Spiegel „nicht mehr“, weil „nichts drinsteht“. Mit dem Internet hatte dieser Bedeutungsverlust übrigens nichts zu tun.
Schon damals bröckelte der Mythos vom „Sturmgeschütz der Demokratie“, der im Zuge der Querelen um die Verpflichtung Nikolaus Blomes, derzeit stellvertretender Chefredakteur der Bild, gerade ein seltsames Revival erlebt. Blome, den der designierte Spiegel-Chefredakteur Wolfgang Büchner rekrutiert hat, dient einigen verdienten Redakteuren als perfektes Feindbild: hier der Monolith der Aufklärung, dort der zackige Kamerad vom Boulevard. Völlig in den Hintergrund gerät bei diesem Krach, dass Spiegel und Bild 2010 zeitgleich vorab Auszüge aus Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ abdruckten und so dazu beitrugen, den Reichtum dieses ganz besonderen Volksverstehers zu mehren.
Und es will derzeit auch kaum jemand wissen, dass im April dieses Jahres die Titelgeschichte „Die Armutslüge. Wie Europas Krisenländer ihre Vermögen verstecken“ erschien. An die „heimlichen Dumpfdeutschen“ wende sich der Text, die „rassistischen Anspielungen“ des Titelbildes wären „deutlich stark genug für ein NPD-Plakat gewesen“, schimpfte der Blogger und Buchautor Michalis Pantelouris („Hände weg von Griechenland“). Kurz: „Der Spiegel hetzt langsam, aber dafür irre.“
Und da soll einer wie Blome fehl am Platz sein? Dies würden nur jene empfinden, „die den Spiegel immer anders gesehen haben, als er wirklich war“, sagt Lutz Hachmeister, Journalistikprofessor und Leiter des Instituts für Medien und Kommunikationspolitik in Berlin. Das Magazin habe sich „immer durch ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit an den politischen Zeitgeist“ ausgezeichnet – egal, ob man, passend zur „Aufbaugesellschaft der 50er Jahre“, ehemalige SS-Mitglieder in die Redaktion holte oder als man nach der Wiedervereinigung „tastend versuchte, ins neue Bürgertum reinzufinden“.
Zwischen Diplomatie und Haarspalterei
Sollte Blome beim Spiegel antreten, würde er laut Hachmeister zu einer Art „Jacobi der Jetztzeit“ werden. Gemünzt ist das auf den verstorbenen Ex-Spiegel-Chefredakteur Claus Jacobi. Der sehr stramme Konservative ging 1968 den umgekehrten Weg – vom Spiegel zur Welt, „die damals wesentlich rabiater war als heute“ (Hachmeister).
Um die Wogen in der Redaktion zu glätten, hat Wolfgang Büchner am Mittwoch vorgeschlagen, Blome nicht, wie ursprünglich vorgesehen, zum stellvertretenden Chefredakteur des Magazins zu machen; er solle lediglich „Mitglied der Chefredaktion“ werden. Kann Büchner mit diesem Schachzug, der wieder einmal belegt, dass die Grenzen zwischen Diplomatie und Haarspalterei fließend sind, die Debatte darüber eindämmen, ob er für das höchste Spiegel-Amt überhaupt der richtige Mann ist?
Eine andere Frage ist, ob es angesichts dessen, dass heute nahezu jede und jeder predigt, man müsse in der unendlichen Informationslandschaft unverwechselbar sein, es für den Spiegel nicht angezeigt wäre, zu versuchen, das zu werden, was er nie war.
In dem Sinne äußert sich jedenfalls der frühere Financial-Times-Deutschland-Redakteur Torsten Engelbrecht, der den Watchblog spiegelblog.net betreibt: „Der Spiegel müsste schlicht seinem eigenen Slogan ’Sturmgeschütz der Demokratie‘ endlich gerecht werden“ und Politiker, die „in Wahrheit oft genug nur der verlängerte Arm der Konzerne sind“, nicht „als seriöse und glaubhafte Personen präsentieren“.
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