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Archiv-Artikel

Mehr Haken- als Kirchenkreuze

HISTORIE Der Kirchenbau in Berlin während der Nazizeit ist wenig erforscht, obwohl an der Spree zwischen 33 und 45 besonders viele Gotteshäuser errichtet wurden – eine Ausstellung widmet sich nun der Verbindung von Kirchen- und NS-Architektur

VON ROLF LAUTENSCHLÄGER

Wenn eine Ausstellung gleich zu Beginn des Rundgangs mit einem Mythos aufräumt, setzt sie Maßstäbe. Obwohl es keine Neuigkeit ist, dass die beiden großen Kirchen in Deutschland von 1933 bis 1945 das NS-Regime nicht ablehnten, lebt noch immer die Legende vom breiten Widerstandsnest Kirche fort. Als ihre Protagonisten gelten nach wie vor Dietrich Bonhoeffer, Martin Niemöller oder der katholische Bischof Clemens von Galen. Sicher, der Bischof war ein lautstarker Gegner der „Aktion T4“, des teuflischen Euthanasieprogramms der Nazis. Der Theologe Bonhoeffer als Vertreter der „Bekennenden Kirche“ wurde im KZ ermordet.

Insgesamt leisteten die Kirchen – bis auf Ausnahmen – aber keinen Widerstand. Im Gegenteil. Die beiden großen Kirchen gehörten zu Hitlers willigen Helfern. Die Schau „… aus dem Geist der Zeit. Berliner Kirchenbauten im Nationalsozialismus“, die in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand ausgestellt ist, belegt gleich anfangs mit ein paar harten Fakten und Bildern – gänzlich unarchitektonisch – diese These.

So erinnern etwa die Fotos von der Einweihung der Gustav-Adolf-Kirche 1934 in Charlottenburg mehr an einen Reichsparteitag der NSDAP als an einen Gottesdienst. SA-Trupps marschieren mit den Gästen ins neue Haus, Pfarrer heben den Arm zum Hitlergruß, und mehr Hakenkreuze als Kirchenkreuze zieren den Innenraum.

Bis 1945 gleichen sich diese Bilder bei den Neueröffnungen von Kirchenbauten. Und auch die Töne sind ähnlich: Katholische Bischöfe und Pfarrer predigen die Verbundenheit mit den braunen Machthabern. Die „Deutschen Christen“, eine starke rassistische und antisemitische Strömung innerhalb der evangelischen Gemeinden, plädieren gar für eine „völkische Kirche“.

Dass die sakrale Architektur als ein wesentlicher Teil der Bautätigkeit im Nationalsozialismus fungiert, überrascht da kaum noch: „In der NS-Zeit“, so konstatieren die Kuratoren der Ausstellung, „wurden in ganz Deutschland über 600 Kirchen neu errichtet.“ In Berlin, Sitz der „Deutschen Christen“ und des katholischen Bistums, entstanden allein 55 Kirchen von 1933 bis 1945, darunter wuchtige neoromanische und -klassizistische Monumentalbauten.

Zudem wurden 48 bestehende Gotteshäuser und Gemeindehäuser in der Reichshauptstadt im Stil der NS-Formensprache und mit Unterstützung von Joseph Goebbels umgebaut. 1940 stellte der Architekt Otto Bartning fest, dass „die beiden christlichen Kirchen noch im vergangenen Jahr neben dem Staat und vor der Industrie die größten Bauherren gewesen waren“.

Leider hält die Schau das Anfangsniveau nicht, weit weniger spannend, ja viel zu nüchtern und konventionell werden die Architekturbeispiele in der Folge präsentiert. Am Beispiel von einem Dutzend Berliner Kirchenneubauten gehen die Kuratorinnen Beate Rossié, Stefanie Endlich und Monica Geyer-von Bernus auf großen Schwarzweißfotografien der Frage nach, wie das faschistische Blut-und-Boden-Denken und die davon abgeleitete Architektursprache die liturgischen Räume geprägt hat. Die Antwort: Ebenso wie die Bauten für Partei und Regierung, für Schulen, Rathäuser oder Siedlungen unterwarfen die Architekten den – zuvor noch sachlichen und modernen – Kirchenbau den Pathosformeln der NS-Monumentalarchitektur.

So werden Kirchen etwa wie mittelalterliche Wehrburgen (Johanneskirche, 1936, Frohnau) oder wuchtige romanische Ritterburgen mit Türmen im Stil von Bergfrieden (Kirche Marien unbefleckte Empfängnis, 1936, Karlshorst) inszeniert. Hart und streng wie bei Kasernen stehen die Pilaster vor neoklassizistischen Kirchen nebeneinander (Ernst-Moritz-Arndt-Kirche, 1934, Zehlendorf). Und als riesiger Tempel, wo der Gottesdienst unter einer gewaltigen Rundbogenhalle abgehalten wird, ist die Martin-Luther-Gedächtniskirche (1935) in Mariendorf stilisiert. „Völkisch, soldatisch, diszipliniert und monumental“, so der NS-Bautheoretiker Arthur Moeller van den Bruck, sollten auch die Sakralbauten der Nazis sein. Ist das nicht bekannt?

Weit interessanter wäre es gewesen, das Kapitel über die Ausgestaltung der kirchlichen Innenräume, die Architekten und Künstler weiter aufzublättern. Denn neben den religiösen Motiven und Ornamenten zog ab 1933 zusätzlich ein NS-Bildprogramm mit in die Kirchen ein, das es in sich hatte: Der Leidensmann Jesus mutiert – wie die Riesenskulpturen im Olympiastadion – beispielsweise zum nordischen Athleten auf dem Kruzifix (1940) von Edwin Scharff in der Kirche Marien unbefleckte Empfängnis. Oder wer sich die 800 Reliefs von Heinrich Mekelburger und die Kanzel in der Martin-Luther-Gedächtniskirche betrachtet, die mit SA-Leuten, Soldaten und Hitlerjungen bevölkert ist, die Jesus bei der Predigt lauschen, spürt, wie sehr die NS-Symbolik die christliche bereits verdrängt hat. Die neuen Götter haben die alten gestürzt. Die Kirchen gehörten zu den Nazis.

■ Bis 20. 1. 2014 in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand.