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Mehr Arbeitsplätze, weniger Gehalt

■ Arbeitssenatorin Christine Bergmann (SPD) plädiert bei den anstehenden Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst für eine Arbeitszeitreduzierung / Lohnausgleich soll in dem Maße steigen, wie die Gehaltsgruppe sinkt

Ende Januar beginnen bundesweit die Tarifverhandlungen für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. In den nächsten Wochen werden die Länder ihre Position festlegen, mit der sie in die Auseinandersetzung gehen. In den letzten Jahren wurden auch in der Hauptverwaltung und in den Bezirken vor allem Stellen abgebaut. Nachdem bei VW die Viertagewoche eingeführt wurde und bei anderen Firmen ähnliche Schritte erwogen werden, fordert die Berliner Arbeitssenatorin Christine Bergmann (SPD) nun eine Umkehr in der Beschäftigungspolitik der öffentlichen Arbeitgeber. Auch im öffentlichen Dienst sollen Modelle der Arbeitszeitverkürzung eingeführt werden.

taz: Frau Bergmann, der Berliner Senat beklagt die hohe Zahl der Arbeitslosen in der Stadt, rühmt sich aber gleichzeitig, als größter Arbeitgeber, 25.000 Stellen in dieser Legislaturperiode abzubauen.

Christine Bergmann: Aus der Sicht der Arbeitssenatorin ist das schon verrückt. Zwar müssen wir sparen, doch sind wir dabei an eine Grenze angelangt, wo wir dies nicht mehr mit dem Abbau von Stellen machen können. Personalmitteleinsparungen sind unstrittig, aber wir müssen im öffentlichen Dienst Modelle finden, wie die Arbeit auf mehr Personen verteilt werden kann, um Arbeitsplätze zu schaffen. Das können natürlich keine hundertprozentigen Vollzeitarbeitsplätze sein.

Im Januar beginnen die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst. Wäre die Viertagewoche, wie sie bei VW eingeführt wurde, auch ein Modell für die Tarifgemeinschaft der Länder(TdL)?

Ich möchte mich nicht auf ein Modell festlegen. Möglich wäre auch ein Kurzsabbatical. Das bedeutet, zwei Jahre arbeiten, ein viertel Jahr frei. Diese Zeit kann man auch gut zur Qualifizierung nutzen. Das ist überall praktikabel, auch im öffentlichen Dienst. Man kann auch einen Teil der Stellen im höheren Dienst als 90-Prozent- Stellen ausweisen. Wichtig ist, daß wir in diese Richtung etwas anbieten. Und entscheidend ist, wie man es macht. Verzichtet man auf Subventionen, dann geht es nur in bestimmten besserverdienenden Bereichen, will man es ausweiten, dann muß man schauen, wie man für einen Teil einen Lohnersatz findet. Die TdL interessiert natürlich, wer einen solchen Lohnersatz bezahlt. VW war in dieser Hinsicht ein Exklusivmodell, da dort ziemlich dicke Polster existierten, die in die Verhandlungen eingebracht werden konnten. Im öffentlichen Dienst gibt es ein vergleichbares Polster nicht. Von daher haben wir Interesse an Finanzierungsmodellen, die auch die Bundesanstalt für Arbeit einbeziehen.

Sie wollen also eine Reduzierung der Arbeitszeit bei gleichzeitiger Zuschußfinanzierung durch die Bundesanstalt für Arbeit?

Ja, denn ansonsten würde ja die Arbeitslosigkeit finanziert. Allerdings fehlen dafür zur Zeit noch die gesetzlichen Voraussetzungen. Wir haben jetzt entsprechende Änderungen des Arbeitsfördergesetzes erarbeitet, um eine vernünftige Regelung zu erreichen.

Mit welchen beschäftigungspolitischen Effekten ist zu rechnen?

Das hängt vom Modell ab. Würden sich zum Beispiel 1.000 Beschäftige für das freiwillige Kurzsabbatical entscheiden, könnten wir 125 Arbeitsplätze gewinnen. Das ist eine erkleckliche Anzahl.

Mit welchen Risiken?

Wir müssen aufpassen, welche Folgen solche Modelle haben. Wir dürfen nicht Armut vergrößern, und wir wissen, daß in den unteren Einkommensgruppen Frauen besonders betroffen sind. Die dürfen nicht zusätzlich Nachteile haben. Zudem sollte es die Möglichkeit der Rückkehr zur Vollzeitbeschäftigung geben. Den Besserverdienenden böte eine Reduzierung der Arbeitszeit auf jeden Fall die Möglichkeit, Erwerbstätigkeit und Familie besser in Einklang zu bringen. Das gilt nicht nur für Frauen, sondern gerade auch für die Männer. Wir wollen keine Teilzeitmodelle nur für Frauen.

Ihre Leitlinie lautet also, Arbeitszeitverkürzung für die höheren Gehaltsgruppen ohne vollen Lohnausgleich.

Der Lohnausgleich sollte in dem Maße steigen, wie die Gehaltsgruppe sinkt.

Wird der Senat Ihre Position übernehmen?

Ich werde mich selbstverständlich dafür im Senat einsetzen.

Nun hat der für die Tarifangelegenheiten zuständige Innensenator Heckelmann bereits erklärt, daß Arbeitszeitverkürzung für ihn im Zusammenhang mit den Tarifverhandlungen kein Thema ist.

Das ist seine Meinung. Ich hoffe doch, daß ich für meine Position im Senat eine Mehrheit finde. Da sie kostenneutral ist, dürfte es dem Finanzsenator eigentlich egal sein. Uns allen darf es aber nicht egal sein, wieviel Arbeitslose wir in der Stadt haben. Interview: Dieter Rulff

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