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MedizinermangelPraxis sucht Arzt

Jeder zweite Hausarzt in Schleswig-Holstein wird bis 2015 in Rente gehen. Nachwuchs ist allerdings nicht in Sicht: Insbesondere ländliche Gebiete leiden darunter, dass der Beruf immer unattraktiver wird.

Hätte auch bald einen weiteren Weg: Ministerpräsident Carstensen (l.) als Komparse im ZDF-"Landarzt". Bild: dpa

Jeder zweite Hausarzt in Schleswig-Holstein wird bis 2015 seine Praxis aufgeben. Das geht aus dem aktuellen Versorgungsbericht hervor, den die Kassenärztliche Vereinigung (KV) am Freitag in Kiel vorgestellt hat. "Wir stehen vor einer beispielslosen Ruhestandswelle", sagte die Vorstandsvorsitzende, Ingeborg Kreuz.

Derzeit sei ein Viertel der Hausärzte 55 Jahre und älter. Gerade einmal fünf Prozent der gesamten Ärzteschaft in Schleswig-Holstein sei laut Kreuz unter 40 Jahren alt. Die jungen Mediziner gingen dem KV-Bericht zufolge lieber ins Ausland oder in die Industrie anstatt sich als Arzt in einer Praxis niederzulassen. "Zu groß ist ihre Furcht, einen hohen Kredit für Praxisfinanzierung und teure medizinische Geräte aufzunehmen", sagte die KV-Sprecherin.

Besonders betroffen vom Ärztemangel sind die ländlichen Gebiete. Vor allem an der Westküste nimmt die Arztdichte seit Jahren ab. So sucht die Vereinigung in den Planungsbereichen Steinburg, Dithmarschen und Flensburg nach jungen Ärzten, die eine Praxis eröffnen möchten. Vielfach finden Hausärzte aber nicht mal Nachfolger für ihre bestehenden Praxen. "Der Beruf des niedergelassenen Arztes wird zunehmend unattraktiver", sagt Kreuz.

Die Ärzte-Flaute

Flächenländer sind besonders von dem Rückgang der Arztpraxen betroffen.

In Niedersachsen sind es über 4.200 Ärzte, die bald in Rente gehen. Die Altersabgänge ab 60 Jahren dazugerechnet, könnten es sogar 8.000 Ärzte sein.

In Schleswig-Holstein müssten in den nächsten Jahren fast 900 junge Ärzte eine Hausarztpraxis übernehmen, um die Ärztedichte von heute zu halten.

In Mecklenburg-Vorpommern sind von den 2.318 niedergelassenen Ärzten rund 20 Prozent 60 Jahre und älter.

Während sich die Reihen der rund 5.100 Hausärzte, Fachärzte und Psychotherapeuten lichten, nimmt der Bedarf an ambulanter Versorgung im Land jedoch konstant zu. Denn die Bevölkerung wird immer älter. Bereits jetzt leben etwa 745.000 Menschen in Schleswig-Holstein, die 60 Jahre und älter sind. Laut Statistikamt Nord klettert die Zahl bis 2025 auf fast eine Million.

Die über 65-Jährigen sitzen zudem häufiger im Wartezimmer als Jüngere - und leiden öfter an chronischen Krankheiten wie Diabetes, Demenz oder Herzerkrankungen. Da der Behandlungsbedarf in naher Zukunft also nicht abnehmen wird und gleichzeitig immer mehr Ärzte in den Ruhestand gehen, steht das Land vor einem Versorgungskollaps. "Die flächendeckende Versorgung, wie wir sie seit Jahrzehnten kennen, ist in Gefahr!", warnt Kreuz.

Doch auch im Nachbarland Niedersachsen sorgen sich Ärzte wie Patienten um den medizinischen Nachwuchs. Bis 2020 werden dort weit über 4.200 Ärzte in den Ruhestand gehen, ohne dass Nachfolger in Sicht sind. Laut KV Niedersachsen sind besonders die Landkreise Gifhorn, Soltau-Fallingbostel und das Emsland von einem drohenden Ärztemangel betroffen. Nicht zuletzt die Bedarfsplanung selbst ist dabei eine Ursache des Problems. Ausgeführt von den Kassenärztlichen Vereinigungen, wird die Anzahl der Zulassungen nach der Höhe der Einwohnerzahlen errechnet. Wie häufig in einem Planungsbereich bestimmte Krankheiten auftreten, verursacht beispielsweise durch ein hohes Durchschnittsalter, spielt bei der Berechnung keine Rolle. Selbst wenn ein Planungsbereich rein rechnerisch gut mit Ärzten versorgt ist, kann der Bedarf in Wirklichkeit viel größer sein.

Um solch einer Unterversorgung entgegen zu wirken, ködert Mecklenburg-Vorpommern Jungmediziner seit einem Jahr sogar mit finanziellen Anreizen. Demnach erhalten Hausärzte und einige Facharztgruppen einen Zuschuss von 50.000 Euro, wenn sie in unterversorgten Gebieten wie Nordwestmecklenburg, Parchim oder Ludwigslust eine Praxis übernehmen. Einzige Bedingung ist: Der Arzt darf nicht älter als 50 Jahre alt sein. Im Gegenzug verpflichtet sich dieser, mindestens fünf Jahre an dem Zulassungsort zu arbeiten. "Wir sind zuversichtlich, eine attraktive Möglichkeit geschaffen zu haben, junge Ärzte für eine Niederlassung im ländlichen Raum zu interessieren", sagte Mecklenburg-Vorpommerns KV-Vorsitzender Wolfgang Eckert bei der Vorstellung des Maßnahmenpakets.

Während die Flächenländer um jeden Landarzt kämpfen, gibt es im Stadtstaat Hamburg eher ein Zuviel an ambulanter Versorgung - allerdings nur auf dem Papier. Denn die rund 4.100 Ärzte und Psychotherapeuten siedeln sich nur ungern in sozial schwachen Stadtteilen an. Da Hamburg wie ein einziger Planungsbereich behandelt wird und es keine gesonderten Bedarfszahlen für einzelne Stadtteile gibt, können Ärzte frei wählen, wo sie ihre Praxis eröffnen.

Unter der wachsenden Unterversorgung leiden besonders Hamburgs Randbezirke, die mit Migrationsproblemen und Arbeitslosigkeit kämpfen. Bei den Ärzten gebe es eine zunehmend geringere Bereitschaft, sich bestimmten Arbeitssituationen auszusetzen, sagt Walter Plassmann, stellvertretender Vorsitzender der KV Hamburg. "Dies ist aber ein gesellschaftspolitisches Problem und keines, das die KV Hamburg lösen könnte."

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3 Kommentare

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  • MS
    Manfred Südstern

    Was für ein Quatsch: seit Jahren wandern weitaus mehr Ärzte nach Deutschland ein als aus Deutschland heraus.

     

    Das Geheule der KV, das nach kürzlich nachgewiesenen Honorarsprüngen um bis zu 30% schon wieder weitere Profitoptimierungen vorbereiten will, sollte niemand ernst nehmen.

     

    Es gibt in der Tat das Problem, daß in ländlichen Bereichen viele niedergelassene Ärzte kaum Nachfolger finden können.

     

    Das liegt aber nicht an mangelnden Verdienstmöglichkeiten, sondern einerseits daran, daß insgesamt weniger junge Menschen studieren und andererseits daran, daß junge Yuppie-Mediziner sich lieber in Mitte, P-Berg oder Ottensen niederlassen möchten als in Scheeßel, Erfde oder Kappeln, weil da nämlich das Kulturangebot bei vergleichbaren Profitchancen nicht ganz so urban ist.

     

    Es handelt sich also eher um die Schnöseligkeit FDP-wählender Bestverdiener - und die sollte man nicht dadurch bekämpfen, daß man schon wieder die Honorare erhöht, sondern dadurch, daß man den Mangel verteilt, d.h. die Niederlassungen unter den jungen Ärzten verlost und die Anzahl der niedergelassenen Ärzte in Großstädten analog reduziert.

  • W
    wilderengel64

    Wo ist das Problem? D ist direkt nach USA das zweitgrösste Einwanderungsland, da werden sich doch wohl ein paar Migranten erbarmen und Medizin studieren, oder etwa nicht?

    Dummerweise wandern so viele junge deutsche Ärzte aus, gerne nach USA... Dänemark, Holland, Norwegen, England sind auch sehr beliebt, woran das wohl liegen mag?

  • E
    eleonor

    alleine in meinem persönlichen Umfeld gibt es 4 Frauen die Medizin studieren wollen, aber nicht durften weil es erstens zu wenig Studienplätze gibt und in Folge desssen der Numerus Clausus zu hoch ist - zur Zeit liegt er bei 1,3. Alle haben ein gutes Abitur zwischen 1,5 und 2,1 - damit bekommt man heute keinen platz mehr - sicherlich wäre die ein oder andere Person dabei, die durchaus auch "Landärztin" werden würde. Früher konnte man sogar mit 3er Abitur noch Arzt werden mit Wartezeit - heute unmöglich.

     

    aber da dieses Land anscheinend nicht genug in Bildung investiert gibt es halt auch nicht genug Studienplätze - deshalb wandern auch einige zum Studieren ins Ausland ab, von denen dann aber einige sicherlich nicht wiederkommen.

     

    Sollte ich im WS 2010 in SH auch keinen Studienplatz bekommen werde ich wohl ebenfalls ins gebührenfreie Ausland abwandern- und ich werde dann auch dort bleiben, dann braucht man auch nicht mehr wiederkommen, falls man dort einen Arbeitsplatz findet, was oftmals auch noch wahrscheinlicher ist als in DE mit seiner Massenarbeitslosigkeit, oft auch schon besser bezahlt.

     

    Kurzum: wir haben einen angeblich drohenden Fachkräftemangel in einigen Bereichen, gleichzeitig gibt es Tausende junge Leute die gleichzeitig studieren wollen, aber für die es offenbar nicht genug Studienplätze in vielen Bereichen gibt, unabhängig davon, ob Gebührenland oder nicht, es fehlen anscheinend Studienplätze. Diese sitzen dann in unzähligen Wartesemestern, angesichts doppelter Abiturjahrgänge, für die schon wieder keiner voraussschauend mehr Plätze geschaffen hat, zum Teil wahrscheinlich dann in Wartesemestern bis 2015 (dann gehen die Zahlen endlich zurück). Und jammert dann nicht wieder rum, die Studenten wären zu alt, wo man diese doch extra nach der 12. aus der Schule herausreformiert hat.

     

    dieses Land will gar keine Fachkräfte haben. Ich konnte nicht einen Hinweis darauf entdecken, dass man hier Fachkräfte sucht! Auch für den 2.Bildungsweg und das Nachholen von Schulabschlüssen gibt es in manchen Bundesländern nicht genug Plätze, so dass nicht mal jeder - der möchte, einen Realschulabschluss oder ähnl. nachholen kann. Soviel zum Thema durchlässiges Schulsystem.

     

    1. versucht man möglichst viele potentielle Fachkräfte in den ersten Semestern möglichst wieder schnell rauszuprüfen, damit die Fensterbänke leerer werden, 2. stellt man gar nicht genug Kapazitäten zur Vfg,3. installiert man dann auch noch Gebühren und wartet ab, wieviele dann aus Angst vor Verschuldung abspringen, dann ist man wieder ein paar los - üblicherweise die aus finanzschwachen Familien 4. als nächstes schafft man am Besten BAFÖG ab und installiert stattdessen ein Studienkreditsystem

    5. Fachkräfte sind teurer in der Ausbildung, der neue Arbeitsmarkt verlangt nach billigen Arbeitskräften, deshalb lieber nur Halbfachkräfte für die Wirtschaft und dann sollen die meisten mit Bachelor gehen, wo wir dann bei 6. wären: auch Masterplätze werden aus Kostengründen weit weniger angeboten werden, irgendwann geht das Geschrei los, weil es dann zuwenig Master gibt, falls man dieses teurere Personal denn haben möchte, denn billig soll ja alles sein. Was macht eigentlich der Lehramtstudent, der statt 2,5 für den Master nur 2,7 erreicht hat und dann nicht den Master machen darf? Fragen über Fragen in diesem angeblich von Fachkräftemangel bedrohten Land. In manchem Nachbarland soll der Master der Regelabschluss werden.

     

    es gibt nicht einen Hinweis darauf, dass dieses Land überhaupt Fachkräfte haben möchte.

     

    nun kann man natürlich argumentieren, dass das duale Ausbildungssystem auch gut ist - okay, aber mittlerweile ist das mittlere Qualifikationsniveau oftmals miserabel bezahlt, bietet kaum Aufstiegschancen, wird immer öfter in den Bereich Zeitarbeit abgedrängt, seit Jahren stagnieren dort die Reallöhne (sind so gut wie eingefroren) und ich zumindest behaupte, dass auch dieser Bereich bei weitem unattraktiver in DE geworden ist. Das ist der Grund, warum so viele versuchen über den 2. Bildungsweg doch noch studieren zu können, nur um dann festzustellen, dass es dann daran scheitert, dass die Studienbedingungen katastrophal sind oder es nicht genug Plätze gibt.

     

    erzähl mir das Märchen vom Fachkräftemangel und ich erzähl dir die Geschichte, dass Fachkräfte nunmal Geld kosten und keiner mehr dafür zahlen möchte. Meine Firma leidet auch bald angeblich unter Fachkräftemangel - wg. langfristiger Personaleinsparungen übrigens - und dennoch wird mir kein Angebot zum Queraufstieg unterbreitet werden oder ähnliches. Zeiten der Massenarbeitslosigkeit können niemals zeitgleich Fachkräftemangelzeiten sein, es sei denn, man investiert einfach nichts in Bildung.