Medizin: Ärger um Aids-Leugner
Das Schauburg Kino zeigt einen Film, der AIDS als Krankheit infrage stellt. "Verschwörungstheorie", warnen Beratungsstellen und Gesundheitsamt.
Das Gesundheitsamt und die Aids-Hilfe Bremen warnen vor einem Dokumentarfilm, der am Mittwoch in der Schauburg gezeigt werden soll. „I won’t go quietly“, lautet der Titel, bei dem sechs HIV-positive Frauen laut Ankündigung von ihrem Leben mit Aids berichten. Und darüber, dass es nach ihrer Überzeugung Aids als Krankheit gar nicht gibt, sondern eine Erfindung der Pharma-Industrie ist. Die Filmemacherin Anne Blumenthal teilt diese These. Krank seien die Frauen, die sie in der ganzen Welt gefilmt hat, nicht aufgrund des Virus, sondern wegen der Medikamente oder Lebensumstände, sagte sie gestern der taz.
Thomas Hilbert, Leiter der Abteilung für Sozialmedizin beim Bremer Gesundheitsamt, hält die Verbreitung solcher Thesen für lebensgefährlich. „Wir hatten im vergangenen Jahr eine Klientin, die dieser Verschwörungstheorie gefolgt ist“, sagt sein Kollege Martin Taschies, Sozialarbeiter beim Gesundheitsamt. Die Frau habe die Medikamente nicht mehr genommen und sei gestorben. Er befürchtet, dass sich durch den Film solche Fälle wiederholen. Vor allem, weil die Regisseurin einen Tag später ein Seminar im Kulturzentrum Lagerhaus veranstaltet. Als Referent geladen ist Stefan Lanka, ein Anhänger der sogenannten „Germanischen Neuen Medizin“, einer Bewegung, die sich gegen schulmedizinische Erkenntnisse wendet. Ihrem Gründer Ryke Geerd Hamer werden unter anderem antisemitische Positionen vorgeworfen. Aids sei eine Lüge, die in den USA erfunden worden sei, behauptet Lanka. Und: HIV sei keine Todesdiagnose.
„Das muss es auch tatsächlich nicht mehr sein“, so der Sozialarbeiter Taschies, der seit 1989 Infizierte begleitet. „Vor zwanzig Jahren bedeutete eine positive HIV-Diagnose eine Lebenserwartung von drei, vier, fünf Jahren. Heute kann ein HIV-Infizierter so alt werden wie alle anderen.“ Die Medikamente hätten sich weiterentwickelt, obgleich sie durchaus schlimme Nebenwirkungen haben können. „Es ist eine chronische Krankheit, mit der man lernen muss umzugehen.“ Für viele sei das nicht einfach, manchen könnte die Vorstellung, gar nicht krank zu sein, sehr verlockend erscheinen. „Zumal es durchaus so ist, dass man sich nicht krank fühlt – solange Aids nicht ausgebrochen ist.“
Der HI-Virus führt zu einer Schwächung des Immunsystems. In Folge kommt es zu Erkrankungen durch Erreger, gegen die sich der Körper ansonsten selbst wehren könnte. Erst beim Ausbruch dieser Erkrankungen spricht man von AIDS. In Bremen starben 2011 daran 20 Menschen, während 30 HIV-Neuinfektionen hinzukamen. Etwa 1200 Menschen im Land sind HIV-positiv.
Für Regisseurin Blumenthal stellt dies keinen Behandlungsgrund dar. Auf die Frage, warum Ärzte und Beratungsstellen dies anders sehen und Krankenkassen die teure Behandlung bezahlen, sagt sie: „Eine Antwort habe ich nicht, ich will die Diskussion voran treiben.“ Ihr Mitstreiter Lanka hingegen meint es zu wissen. „Professoren, Staatsdiener“, diese „lügen im Interesse der Pharmaindustrie und die müssen die Interessen des Zinses bedienen“, so lässt sich dem Mitschnitt eines Vortrages entnehmen.
„Man muss es deutlich sagen: Die sind verrückt“, sagt Mario Stara von der Aids-Hilfe Bremen. Seit vielen Jahre habe er mit Aids-Leugnern zu tun, die Diskussion mit diesen habe er aufgegeben, sie führe zu nichts. „Das sind Verschwörungstheoretiker“, so Stara, „von der gefährlichen Sorte.“
Auch Klaus Becker wurde beim Schauen des Film skeptisch. Becker leitet das Filmbüro Bremen, in deren „Heimspiel“-Reihe der Film läuft, weil ein Bremer Cutter beteiligt ist. Für die anschließende Diskussion hatte er Vertreter der Aids-Hilfe und des Gesundheitsamtes geladen. Beide aber wollten die Positionen des Films nicht durch ihre Anwesenheit aufwerten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Sicherheitsleck in der JVA Burg
Sensibler Lageplan kursierte unter Gefangenen