Medico-Experte über "Gesundheitsgipfel": "Therapien für Großteil unbezahlbar"
Ein Kongress will in Berlin drängende Fragen der Weltgesundheit beantworten. Dabei geht es vor allem um Interessen der Industrie, sagt Medico-Experte Gebauer.
taz: Herr Gebauer, zwei medizinische Hochschulen laden zu einem internationalen Symposium ein und nennen das "Weltgesundheitsgipfel". Wir ernst muss man das nehmen?
Thomas Gebauer: Natürlich ist es jedem unbenommen, zu Symposien einzuladen. Aber eine Veranstaltung World Health Summit - kurz: WHS - zu nennen, die sich nur randständig mit der Weltgesundheit und den drängenden Problemen im Süden befasst, ist ein starkes Stück.
Thomas Gebauer, 54, ist Geschäftsführer der Organisation medico international. Er war Mitbegründer der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Kampagne zum Verbot von Landminen. Medico ist Mitorganisator einer WHS-Gegenveranstaltung.
Worum geht es denn - wenn nicht um die drängenden Fragen der Weltgesundheit?
Im Vordergrund des World Health Summit stehen Fragen einer verbesserten Forschung und die Interessen der privaten Gesundheitswirtschaft. Es geht etwa um neueste biomedizinische Therapiemöglichkeiten - Behandlungen, die für einen Großteil der Weltbevölkerung unbezahlbar sind. Mit diesem Ansatz droht der Gipfel bestehende Probleme noch zu verschärfen.
"Gipfel"-Präsident Detlev Ganten von der Berliner Charité widerspricht. Es gehe sehr wohl um den Süden, um das Menschenrecht auf Gesundheit.
Das will ich nicht abstreiten. Niemand spricht sich heute gegen ein solches Recht aus. Es kommt aber darauf an, es endlich zu verwirklichen. Herausgefordert ist die Politik, man muss sie in die Verantwortung nehmen, statt sie nur Grußworte sprechen zu lassen.
Was müssen politisch Verantwortliche tun?
Es geht noch immer um die alten Probleme: Ohne Zugang zu sauberem Wasser, ohne ausreichende Ernährung, gute menschenwürdige Wohnverhältnisse lässt sich Gesundheit nicht verwirklichen. Notwendig sind gerechte Welthandelsverhältnisse. Und es muss sichergestellt werden, dass endlich bessere Medikamente gegen armutsbedingte Krankheiten wie Tuberkulose, Malaria und Aids entwickelt werden. Also nicht nur solche, die die Industrie mit Patentschutz teuer verkaufen kann.
Sie prangern auch das Engagement der deutschen Gesundheitswirtschaft in Schwellenländern an. Was ist das Problem?
Der Wirtschaftsboom in Ländern wie Indien hat einerseits die Zahl der absolut Armen drastisch vergrößert, andererseits eine zahlungskräftige Mittelschicht geschaffen. Da locken lukrative Geschäfte mit privaten Versorgungsangeboten. Wer unter solchen Umständen auf den Aufbau eines privaten Krankenversicherungssystems setzt, hebelt zugleich die Chancen für ein solidarisches System aus, das auch den Armen hilft.
Wäre ein anderer Weltgesundheitsgipfel nötig? Und wie sähe der aus?
Angesichts der globalen Gesundheitskatastrophe ist ein Gipfel dringend geboten. Er muss aber repräsentativ sein. Vor allem müssen die Menschen des Südens, um deren Situation es geht, beteiligt sein. Das ist eine Sache für die Weltgesundheitsorganisation - bei aller Kritik, die man an ihr haben kann. Die Legitimation haben nicht ein paar Forscher, ein paar Politiker und die Industrie.
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