Meşale Tolu seit 100 Tagen im Gefängnis: 20 Jahre Haft gefordert
Seit Anfang Mai befindet sich die Journalistin mit ihrem zweieinhalbjährigen Sohn in der Frauenhaftanstalt. Vergangene Woche wurde ein Gerichtstermin bekannt.
„Ich danke […] allen, die mich in dieser Zeit nicht allein gelassen haben […]. Von überall her erhalte ich Solidaritätsbriefe […]. Euer Wille und eure Kraft geben mir Kraft und Hoffnung. […] Ich glaube daran, dass es bald sonnige Tage für uns geben wird.“ Mit diesen Worten bedankt sich Meşale Tolu an ihrem 100. Tag im Gefängnis bei den Menschen, die sie seit ihrer Inhaftierung unterstützen.
Die Journalistin und Übersetzerin Tolu wurde am 30. April verhaftet und befindet sich seit dem 6. Mai mit ihrem zweieinhalbjährigen Sohn im Istanbuler Frauengefängnis Bakirköy. Ihr wird die „Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation und Terrorpropaganda“ vorgeworfen. Am 12. Oktober wird über ihren Fall entschieden.
Höchststrafe liegt bei 10 Jahren
Insgesamt fordert die Staatsanwaltschaft 20 Jahre Haft. Kader Tonç, Anwältin von Tolu erklärt, dass bei einer Verurteilung wegen der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation die Höchststrafe eigentlich bei 10 Jahren liegt. „Aufgrund des Anti-Terror-Gesetzes könnten noch fünf weitere dazu kommen. Sowie fünf weitere Jahre bei einer Verurteilung aufgrund der Terrorpropaganda.“
1990, İstanbul doğumlu. Cumhuriyet Gazetesinde muhabirlik ve editörlük yaptı. taz gazetesinde misafir gazetecilik yaparken Almanya'da kalmaya karar verdi ve taz.gazete projesi üzerinde çalışmaya başladı.
17 weitere Personen stehen in dem selben Prozess vor Gericht. Die Anklageschrift gegen Tolu basiert auf der Aussage einer anonymen Person mit dem Pseudonym „Eylül Kizilbas“. „Ich kenne sie nicht beim Namen, aber sie ist Mitglied der terroristischen marxistisch-leninistischen Partei MLKP (in der Türkei verboten, Anm.d.Red.) und ist aktiv in dem Viertel Gazi. Außerdem nimmt sie regelmäßig an Veranstaltungen des Sozialistischen Frauenparlaments (SKM) teil, dem Frauenflügel MLKP.“, heißt es in der anonymen Aussage über Meşale Tolu.
Widersprüchliche Zeugenaussage
„Die Aussage des anonymen Zeugen ist in sich widersprüchlich“, so Tonç. „Einerseits behauptet der Zeuge die Angeklagte nicht zu kennen, andererseits setzt er diese in Verbindung mit einer Terrororganisation.“ Außerdem gebe es auch keine Angaben darüber, wann diese Aussage von den Sicherheitsbehörden aufgenommen wurde. „Meşale war in ihrem Leben vielleicht einmal in dem Viertel Gazi. Sie reist nur von Zeit zu Zeit in die Türkei. Und wenn sie in Istanbul ist wohnt sie im Bezirk Kartal.“, so die Anwältin.
Tolu wird beschuldigt über die Ezilenlerin Sosyalist Partisi (ESP), zu deutsch „Sozialistische Partei der Unterdrückten“ berichtet zu haben. Als Journalistin im Auftrag der ETHA, die als linke Nachrichtenorganisation gilt, hatte sie an diversen Veranstaltungen der ESP teilgenommen. „Die ETHA ist eine werktätige Nachrichtenagentur, die jedoch unter polizeilicher Beobachtung steht. Ihre Mitarbeiter*innen werden kriminalisiert.“, so Tonç.
Das Gefängnis ist kein Ort für ein Kind
Dabei seien die Veranstaltungen der ESP, der Tolu als Pressemitglied beigewohnt habe, allesamt in Polizeibegleitung erfolgt und zuvor nicht verboten wurde. „Sie erfolgten alle im Rahmen der Pressefreiheit, doch Tolu wird die Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vorgeworfen.“, fährt die Anwältin fort.
Nach der Verhaftung von Tolu wurde die Untersuchungshaft damit begründet, es würden noch Beweismaterialien zusammengetragen werden. Allerdings seien in den vergangenen drei Monaten keine neuen Beweise dazugekommen. „Die Lage ist ernst, wir dürfen sie nur alle zwei Wochen besuchen. Das Gefängnis ist kein Ort für ein Kind.“, so die Anwältin.
Nach der Bekanntgabe des Verhandlungstermins in der vergangenen Woche, forderte das deutsche Außenministerium ein rechtsstaatliches und faires Verfahren. Am 22. August 2017 wird darüber entschieden, ob Meşale Tolu bis zu ihrem Gerichtsverhandlungstermin aus der Untersuchungshaft entlassen wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!