Maurice Höfgen Was kostet die Welt?: Ticketfreier Nahverkehr entlastet nicht nur die Nutzer, sondern auch die Verwaltung, die Ingenieure und die Ressourcen
Wenn ich mit dem Zug von Mönchengladbach nach Düsseldorf fahre, kostet das 19 Euro. Für eine 30-minütige Fahrt, wohlgemerkt, die gerade einmal 25 Kilometer überbrückt. Und zurück natürlich nochmal 19 Euro. Wenn ich jetzt noch älter, knapp bei Kasse, mit digitalen Fahrplänen überfordert und nicht mit Onlinezahlungen vertraut wäre, stellten sich so einige Hürden. Unnötig viele Hürden für ein Bus-und-Bahn-Land.
Dabei muss Deutschland genau das werden. Für Klima und Umwelt, klar, aber auch, weil es sicherer und effizienter ist, wenn nicht jeder allein in tonnenschweren Blechbüchsen durch das Land rollt. Nun ist es aber so: Wer nicht zu den klassischen ÖPNV-Pendlern und Deutschlandticket-Nutzern gehört, muss sich noch immer den Weg durch einen teuren Ticketdschungel schlagen.
Was also tun? Aus dem 58-Euro-Deutschlandticket wieder ein 49-Euro-Ticket machen? Oder gar wieder ein 9-Euro-Ticket? Reicht alles nicht. Für ein Bus-und-Bahn-Land müssen mehr Hürden als der bloße Preis abgeräumt werden. Die Lösung? ÖPNV ticketfrei machen! Einfach einsteigen!
Die Vorteile liegen auf der Hand. Ticketfreier ÖPNV steigert die Lebensqualität. Man muss sich nicht an ranzige Automaten stellen oder mit schlecht programmierten Apps herumschlagen, wenn man in den Bus oder die Bahn steigen will. Außerdem gibt es keine nervige Ticketkontrolle. Bus- und Bahnfahren wird einfacher, flexibler und angenehmer – für Kunden wie für Fahrer und Fahrbegleiter.
Zudem gibt es einen ökonomischen Gewinn: Ohne Tickets spart man Ressourcen. Dann braucht es keine Kontrolleure; keine Ticketinfrastruktur und Schalter, um die sich Ingenieure und IT-Spezialisten kümmern müssen, die eigentlich besseres zu tun hätten; kein Service-Personal, das überforderten Kunden durch den Ticketdschungel hilft; weniger Anwälte, Richter und Justizvollzugsbeamte, die sich um Bußgeldsünder kümmern – und natürlich: weniger Papier.
Die ganze Arbeit rund um die Ticketkontrolle ist chronisch unproduktiv, es wird kein Wert geschaffen. Der US-Publizist David Graeber hätte das als Bullshit Jobs bezeichnet. Die ganze Arbeitskraft, die ganze Energie, die ganze Kapazität kann dann für andere, produktivere Tätigkeiten eingesetzt werden. Mehr Fahrer, mehr Service, mehr Ingenieure.
Und die Kosten? 2023 beliefen sich die bundesweiten Ticketeinnahmen für den ÖPNV auf etwa 12 Milliarden Euro. Selbst wenn sich die Fahrgastzahlen wegen des günstigen Preises verdoppelten, käme man vermutlich mit weniger als 20 Milliarden aus. Denn betriebswirtschaftlich gilt, dass die Grenzkosten mit steigender Menge fallen. Den tausendsten Bus zu betreiben ist günstiger als den ersten. Doppelte Fahrgastzahlen bedeuten also nicht doppelte Kosten. Die natürlich vom Bund an Länder und Kommunen geleistet werden sollten. Die kommunalen Kassen sind vielfach leer und die kommunalen Verkehrsbetriebe kurz vor roten Zahlen. Selbst 20 Milliarden Euro entsprächen außerdem nicht einmal einem Drittel aller klimaschädlichen Subventionen.
Natürlich: Auch das Verkehrsnetz muss dringend ausgebaut und modernisiert werden: mehr Busse und Bahnen, mehr Schienen, mehr Personal, bessere Taktung, mehr Fahrkomfort, und, und, und. Einfach einsteigen erfordert auch eine Investitionsoffensive. Gott sei Dank gibt es dafür ja jetzt ein 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen. „Können wir uns nicht leisten“ gilt also nicht.
Maurice Höfgen, 28, ist Autor und Ökonom. Hier überlegt er einmal monatlich, wie sich wirtschaftliche Utopien umsetzen ließen.
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