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Maulkorb für Justizbeamte

■ Bundesverwaltungsgericht entscheidet über Rechtmäßigkeit einer Ermahnung von Richtern, die in einer Anzeige Bedenken gegen die Nachrüstung geäußert haben

Von Nikolaus Müller–Schöll

Berlin (taz) - Der Lübecker Richter Wolfgang Nescovic gebraucht markige Worte: Das Bundesverwaltungsgericht werde die Beamtenschaft am heutigen Donnerstag entweder „zu politischen Eunuchen stempeln“ oder „aus dem politischen Neutralitätsghetto befreien“. Nescovic ist einer von 35 schleswig–holsteinischen Richtern und Staatsanwälten, die 1983 in einer Zeitungsanzeige juristische Bedenken gegen die Nachrüstung angemeldet hatten und dafür von ihrem obersten Dienstherrn, dem damaligen Justizminister und heutigen amtierenden Ministerpräsidenten Schleswig–Holsteins, Henning Schwarz eine förmliche Ermahnung“ verpaßt bekamen. Heute verhandelt das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in letzter Instanz, ob die Ermahnung juristisch zulässig gewesen ist. „Rechtliche Einwände hatten die 35 Unterzeichner der Annonce gegen die Stationierung zu Papier gebracht: Die gesetzliche Grundlage fehle, das im Grundgesetz verankerte „Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ sei gefährdet, die staatliche Souveränität der Bundesrepublik werde verletzt. 30 der Unterzeichner erhielten bereits wenige Tage später Post von ihrem Dienstherrn: Im Auftrag von Schwarz hatte der Lübecker Landgerichtspräsident Herbert Tietgen den Vorgang dienstrechtlich überprüft und eine „Verletzung Ihrer Dienstpflichten“ festgestellt. Dorn im Auge war Schwarz wie Tietgen, daß die Richter und Staatsanwälte sich unter Angabe ihrer Funktion geäußert hatten. Das „Ansehen und die Funktionsfähigkeit der Justiz“ seien dadurch gefährdet worden, teilte Tietgen in einem hektographierten Brief mit. Die gemaßregelten Juristen gingen vor Gericht und erhielten Recht. In der Urteilsbegründung war vermerkt, daß eine vergleichbare Äußerung von Richtern das letzte Mal im Jahr 1848 vorgekommen sei. Das Urteil bedeutete eine deftige Ohrfeige für Schwarz. Der hatte mittlerweile mit der Ankündigung einer Veränderung des Richterwahlgesetzes auch konservative Juristen gegen sich aufgebracht. Die Präsidenten und Vizepräsidenten der Gerichte sollten nicht länger von den Richter–Vertretern und Parlamentariern im Richterwahlausschuß gewählt werden, sondern vom Regierungschef auf Vorschlag des Ministers ernannt werden. Kurz nachdem Schwarz - auch wegen seiner Auseinandersetzung mit den 35 Unterzeichnern - als Justizminister abgelöst worden war, entschied das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg in seinem Sinn: Zwar stehe den Richtern das Recht auf freie Meinungsäußerung zu, doch hätten sie ihre Berufsbezeichnung zu „reißerisch herausgestellt“. „Ein unhaltbarer Vorwurf“, lautete die einhellige Meinung der unterlegenen Unterzeichner. Schließlich sei man zwar in der Sache, nicht aber in der Form spektakulär gewesen. Gegen den Vorwurf, zu deutlich oder wörtlich: „zu reißerisch“ ihre Meinung geäußert zu haben, konnten sich die Richter zunächst jedoch nicht mehr wehren: Das Oberverwaltungsgericht ließ keine Revision zu, weil es sich um einen „Einzelfall“ handle. Erst nachdem das Bundesverwaltungsgericht der Frage grundsätzliche Bedeutung eingeräumt und die Revision zugelassen hatte, war der Weg frei geworden für eine erneute Verhandlung. Rechtsschutz gewährte im gesamten bisherigen Verfahren der im allgemeinen als konservativ eingeschätzte Richterbund, der den 35 von Anfang an „Solidarität und Verbundenheit“ zugesagt hatte.

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