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Archiv-Artikel

JOSEF WINKLER über ZEITSCHLEIFE Maul halten, Gemeinde!

Ach, heit is’ zünftig: in den Fängen eines verhinderten und auch weiterhin zu verhindernden Entertainers

Wissen Sie, warum der Biber in Bayern quasi ausgestorben ist? Ich hab das unlängst auf Bayern-2-Radio gehört, und die lügen gewöhnlich nicht. Kurzversion: Once upon a Fastenzeit im Mittelalter waren die Mönche die ewigen Rüben und Weißfischl leid, erklärten kurzerhand (und gegen alle Biologie) die ja großteils im Wasser lebenden Biber zu Fischen – und aßen die Viecher alle auf. Ich weiß jetzt nicht, wie ein Schmorbiber schmeckt; die andere, berühmtere kulinarische Errungenschaft der gar so findigen Fastenmönche ist jedenfalls einigermaßen grausig, erfreut sich aber bis heute großer Beliebtheit: Überall in Bayern gibt es zwischen Aschermittwoch und Ostern Starkbierfeste. Zum Beispiel in unserer Nachbargemeinde.

Mein Spezl und ich waren spät dran, die Fastenpredigt lief schon. Fastenpredigt geht so: Da steht ein Mann in Mönchsrobe, der „Bruder Barnabas“, und hält der Starkbier pumpenden „Gemeinde“ eine Levitenlesung voller satirisch-polemischer Spitzen. Im Idealfall am Nockherberg ist das Bruno Jonas, und es ist toll. In unserem Fall war es der Schartner-Sepp (Name notdürftig geändert) – und er eierte so dahin. Eben mühte ich mich herauszufinden, ob dem eigenwilligen Mäandern des Vortrags zwischen Prosa und maßfrei gereimten Passagen irgendein exotisches, ja vielleicht gar traditionelles Muster zugrunde lag, als der Mönch innehielt. „Interessiert’s euch nicht?“, fauchte er einen Tisch voller junger Leute an; offenbar war da geschwätzt worden. „Ich frag ja bloß.“

In einer Prost-&-Klatsch-Pause drückten sich mein Spezl und ich an einen der Tische. Ein Mann hinter mir brummte mich drohend an, und aus dem Augenwinkel sah ich, wie er ausholte und mit ohrenbetäubendem Krachen etwas in seinen Tisch hineindrosch. BAM! Schon imaginierte ich die unter dem jähen Ausbruch des massigen Psychotikers berstenden Maßkrüge und Schädel – da sah ich den Holzhammer. Für Ruhe im Saal zu sorgen war offenbar die Aufgabe des Mannes, der er mit gleichwie beunruhigend terminatoresker Stumpfheit nachging. BAM! BAM! Wir setzten uns ein paar Meter weg.

Derweil pflügte der eitle Barnabas weiter durch den steiniger werdenden Acker seiner Rede. Quälend. Langatmig. Pointenfrei. Es folgte ein Schwenk in die Großpolitik. Der Schröder habe das Regieren nicht gekonnt. Oho! Und die Merkel? Blöde Frisur! Da schau her. Dann mutierte der Mönch zum Gauweiler und ließ eine lupenrein fremdenfeindliche Tirade los. Ich gestehe voll Scham: Mir gebrach es an Geistesgegenwart und Zivilcourage, aufzustehen und zu protestieren. BAM! BAM! Wer ist eigentlich der Irre mit dem Hammer, fragte ich einen Nachbarn. „Der? Des is unser Bürgermoasta.“ Endlich war die Predigt vorbei. Wer nun auf einen „gemütlichen Teil“ hoffte, hatte die Rechnung ohne den Schartner-Sepp gemacht. Der hatte sich während eines Intermezzos der swingentleert trümmernden Blaskapelle seiner Mönchsrobe entledigt und lief nun als Conférencier in Lederhosen auf. Wir sollten doch „einmal ein bisserl staad“ sein, nölte er beleidigt gegen die aufkeimenden Unterhaltungen an. Dies war sein großer Abend, straff durchgeplant; wir waren sein Saalpublikum, das zu applaudieren und ansonsten den Rand zu halten hatte. Es folgten: ein Stammtisch-Sketch (der Schartner-Sepp riss nun zur Verstärkung des um RUHE! hämmernden Bürgermeisters an einer Saalglocke); darauf der überraschend funky Dorfpfarrer mit einer kabarettistischen Einlage, die so viel besser ankam als sein Geblöke vorhin, dass der Schartner-Sepp, ganz fuchsig geworden, zum letzten Schlag ausholte: Es war der Vorabend des Josefitages, und nun bat er unter maximalem Trara alle Josefs und Seppen im Haus nach vorne, um ihnen – zweifellos zur höheren Ehre seiner selbst – zum Namenstag zu gratulieren. Ich selbst sah davon ab, mir von dem Unangenehmen die Hand schütteln zu lassen. Nächstes Jahr gehen wir zum Biberfressen in den Bayerischen Wald oder so. Jedenfalls wohin, wo es gemütlich ist und man mit seinen Mittrinkern ratschen darf.

Verständnisfragen? kolumne@taz.de Morgen: Martin Reichert über LANDMÄNNER