Matthias Güldner, Grüner Fraktionschef in Bremen: "Wir müssen es selbst besser machen"
Der Fraktionschef der Grünen in Bremen, Matthias Güldner, wendet sich dagegen, die gerade eben erst so richtig eingeführte direkte Demokratie in Frage zu stellen. Sein Ziel ist es, die Bürgerbeteiligung zu stärken.
taz: Herr Güldner, wird bei den Grünen die direkte Demokratie in Frage gestellt?
Matthias Güldner: Es ist nicht zu überhören, dass es solche Stimmen gibt: nicht nur anlässlich des Volksentscheids gegen die Schulreform in Hamburg, sondern auch wegen des Minarettverbots in der Schweiz.
Die Instrumente der direkten Demokratie sind gerade erst geschärft worden, wofür die Grünen jahrzehntelang gekämpft haben. War man da zu naiv?
Ich finde, dass sie nach wie vor richtig sind. Es muss ein wichtiges Ziel der Grünen sein, die direkte Bürgerbeteiligung zu stärken. Das von einzelnen Ergebnissen bei Volksentscheiden abhängig zu machen, halte ich für falsch.
Was ist mit Volksentscheiden gewonnen?
Sie sind langfristig das wirksamste Instrument gegen die Abwendung der Menschen von der Demokratie. Nur mit dem Angebot, ihr könnt direkter, mehr und wohnortnäher mitentscheiden, können wir die Leute überzeugen, sich für die Gesellschaft einzusetzen.
Ist das nicht eine Illusion? Es zeigt sich ja, dass die Leute vor allem dann an Bürgerentscheiden teilnehmen, wenn sie die betreffende Frage direkt angeht.
Warum zeigen wir Abgeordnete auf die Bürger und behaupten, die vertreten nur Partikularinteressen? Wir müssen es selbst besser machen und zeigen, dass wir das Allgemeininteresse in den Vordergrund rücken. Und wir müssen bei den Bürgern Überzeugungsarbeit leisten. Zu sagen: Sobald die Bürger ins Spiel kommen, wirds gefährlich, ist ein Ansatz, der den Parlamentarismus weiter von der Bevölkerung isoliert. Hamburg ist ein gutes Beispiel. Dort gibt es eine ungeheure Chance, weil die GAL eine richtige Politik in Sachen direkte Demokratie gemacht hat und eine richtige Politik in Sachen Schulreform. Die Aufgabe besteht jetzt darin, beides zusammen zu kriegen.
Wie lässt sich verhindern, dass das St. Florians-Prinzip regiert?
Natürlich kennt man das Phänomen, dass Leute für etwas sind - nur nicht bei ihnen in der Nachbarschaft. Wir haben aber nirgends den Fall eines Projekts, wo nur 15 Nachbarn die Entscheidung bringen. Das ist eine Karikatur der direkten Demokratie. Entweder wir haben sie im ganzen Stadtbezirk oder in der ganzen Stadt. Ich habe viele Debatten kennen gelernt, wo in erstaunlichem Maß unterschiedliche Argumente einbezogen wurden und sich Verständnis für haushalterische Nöte aber auch für Fragen der Stadtentwicklung zeigte.
versucht, sich für ein soziales Bremen einsetzen. Zur innergrünen Diskussion über Volksentscheide hat er ein Positionspapier erarbeitet: "Mehr Direkte Demokratie tut manchmal weh - und allen gut! Die DD-Frage und die Grünen am Beispiel Hamburg und Bremen", zu finden unter www.gruene-fraktion-bremen.de
Die Hauptarbeit des Parlaments wird in den Ausschüssen geleistet, wo die Fraktionen nach Kompromissen suchen. Ein Gesetz auf dem Wege der direkten Demokratie ist wesentlich erratischer und wesentlich schwieriger zu korrigieren.
Das stimmt, wenn man es so eng sieht. Aber wir können den Leuten Haushaltsfragen mit Bürgerhaushalten und Stadtteilbudgets vorlegen. Wir können Projekte zur Abstimmung stellen. Wir müssen damit umgehen, dass es zwei gegenläufige Bürgerbegehren geben kann wie bei der Ikea-Ansiedlung in Hamburg-Altona und perspektivisch dazu kommen, dass Alternativen zur Abstimmung gestellt werden.
Besteht ein Risiko, dass Minderheitenrechte beschnitten werden?
Es gab parlamentarische Mehrheiten in Deutschland, die auf Minderheitenrechte wenig gegeben haben. Auch da haben wir keine Mehrheiten, die per se das Gute, Wahre, Vernünftige beschließen. In der Schweiz gibt es zwar das Minarettverbot; es gab aber auch zahllose Mehrheiten, die positive Dinge hervorgebracht haben. Und die Schweizer haben auch ganz krude negative Ansinnen zurückgewiesen.
Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) sagte, durch die vielen Bürgerentscheide werde es schwierig, zu führen.
Führen heißt auch immer überzeugen. Im Parlament kann ich nur bedingt überzeugen, weil sich eine Regierungsmehrheit und eine Opposition gegenüber stehen. Wenn die Bevölkerung ins Spiel kommt, muss ich mich stärker bemühen zu überzeugen. Dass von Beust in der schwarz-grünen Koalition in unerwarteter Weise die Schulreform unterstützt, ist sowohl ein Beispiel für Führen als auch für Überzeugen.
Politik und Verwaltung beklagen sich häufig darüber, dass Entscheidungen in Deutschland so lange dauerten. Wird dieses Problem durch die direkte Demokratie verschärft?
Gerade komme ich aus einer Debatte in der Bremischen Bürgerschaft, in der es darum ging, die Rechte der Stadtteilbeiräte zu stärken. Der schärfste Gegner dieser Reform war nicht eine Partei sondern die Verwaltung. Sie hat Angst, dass ihre Macht gebrochen wird, wenn die Rechte der Beiräte auf so viele Felder ausgeweitet werden und sie auch entscheiden dürfen.
Die Macht oder die Handlungsfähigkeit?
Die Macht. Die Verwaltung muss sich daran gewöhnen, ihre Vorhaben überzeugend darzulegen.
Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier sagte kürzlich, ein Problem der direkten Demokratie sei, dass sie immer auf Ja-Nein-Fragen hinauslaufe.
Bei der Wahlrechtsreform in Bremen, dem einzig erfolgreichen Volksbegehren nach dem Krieg in Bremen, lag ein kompletter Gesetzentwurf vor.
Trotz der Komplexität des Sachverhalts blieb es am Ende eine Ja-Nein-Frage.
Das ignoriert, dass im Vorfeld stark daran gearbeitet wurde. Das sieht man daran, dass Bremen den Hamburger Gesetzentwurf nicht einfach übernommen hat. Wir Grünen haben im Bündnis für das Volksbegehren intensiv mit allen diskutiert. Der Dialog zwischen dem Parlament und den VertreterInnen der direkten Demokratie muss noch verbessert werden.
Der Initiator des Volksbegehrens gegen die Hamburger Schulreform sagte, er habe eigentlich kein Mandat zu verhandeln. Wo ist sein Spielraum?
Das ist eine ganz schwierige Situation. Dass sich mit der "Allianz für Bildung" ein breites Pro-Reform-Bündnis gebildet hat - aus GAL, Gewerkschaftern, Eltern und mit Leuten aus der SPD auch Vertretern der Opposition - ist die richtige Antwort.
Man stellt die Gegenfrage …
… und nutzt ein wenig später als die Gegner der Schulreform ein Instrument, das bei der Durchsetzung politischer Ziele helfen kann. Wir sind am Anfang eines Lernprozesses, wie man mit solchen Instrumenten umgeht.
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