■ Standbild: Masturbierende Nomaden
Signale. Sex-Revolution am Ende?, Montag, 21.45 Uhr, West3
Nachdem der Psychotherapeut Bernd Nitzschke meinte, daß die Emma-Kampagne aus dem Jahre 1977 gegen die vornehmlich durch Titts & Asses geprägten Titelbilder des Stern für ihn eine Zäsur gewesen sei, ein Zeichen neuer Prüderie, da hätte es spannend werden können. Zumal die befragte Zeitzeugin und Journalistin Sabine Zurmühl dies flugs als „Kloakenparole“ erkannte und darauf hinwies, daß die Dinge um die sexuelle Revolution doch viel komplizierter gewesen seien – und sind.
Doch die Autoren des Films „Cool, verklemmt, abgetörnt“, GG Faure und Walter Etzweiler, wollen so genau nicht differenzieren. Die 68er haben die Körper vom Muff befreit, hieß es bei ihnen, die Chemieindustrie habe über die Pille die Liberalisierung der Sexualität ingenieurtechnisch vorbereitet, womit allerdings noch nichts gewonnen sei. Den Kronzeugen für diese kulturpessimistisch gemeinte These gab der kürzlich verstorbene Sexualkundler Ernest Borneman ab. Die Geschlechter haßten sich nur noch, ihre Körper könnten nicht mehr zueinander finden. Möglich. Die Autoren beließen es dabei – kein Gegencheck, keine andere Position.
Bebildert waren all diese Aussagen mit Ausschnitten aus einem Sklavenmarkt, wo showartig Frauen an Männer verhökert werden. Es sollte signalisieren: So schlimm ist es um uns bestellt. Insofern war der Film langweilig. Die Autoren fragten, ob „die Gesellschaft in masturbierende Nomaden“ zerfalle. So ahnungslos hätte man sich das nicht gedacht. Schließlich sagte der Sprecher auch noch, daß der Spaß vorüber sei – und die Schwulen seien die Gewinner der Sexrevolution. Kurzum: Sie haben dort wie auch woanders nicht recherchiert, sie haben anscheinend überhaupt nicht nachgedacht, was in der Tat bedauert werden muß.
Weshalb die Scheu, mal den Gründen der seit Jahren in allen Feuilletons verhandelten Angst des modernen Staatsbürgers vor Nähe (und eben nicht vor Sex) nachzugehen? Ja, war ein schönes Thema, die Idee hätte getragen. Die Macher hatten eventuell Angst vor allzu großer Nähe zum Thema. Und das gäbe doch auch ein gutes Feature in Sachen Selbstbefragung ab. Bis dahin gilt, leider: Wir müssen allein weiterforschen, warum das mit dem Sex so simpel und der Intimität schwerer ist, als unsere Eltern uns je verraten wollten. Jan Feddersen
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