Mastfabrik für Schweine: "Wir sind kein Streichelzoo"

Von 30 Kilogramm Lebendgewicht auf 125 Kilo in nur vier Monaten, kein Stroh und Futter per Pressluft: Besuch bei 24.000 Schweinen in einer Agrarfabrik.

Ein Meter nach vorne, seitlich nur Zentimeter - mehr Platz hat die Sau nicht. Bild: christoph busse

BARNSTÄDT taz | Eine Stahltür schwingt auf, Gülle-Gestank und hektisches Grunzen schlagen den Besuchern des Schweinestalls entgegen. Immer wieder knallt es, wenn Pressluft computergesteuert Futter durch Rohre in Metalltröge vor den Sauen schießt. Dann stoßen die Schweine schnell nach vorne. Viel Platz bleibt ihnen dabei nicht: Sie stehen in Metallkäfigen, in denen sie sich allenfalls einen Meter in der Länge und ein paar Zentimeter zur Seite bewegen können.

Doch so wie die rund 24.000 Tiere des Agrarunternehmens Barnstädt nahe Halle in Sachsen-Anhalt werden die meisten der 27 Millionen Schweine in Deutschland gehalten: in durchrationalisierten Agrarfabriken. Tierschützer kritisieren dies als nicht artgerecht, Umweltaktivisten beklagen die Verschmutzung durch die riesigen Güllemengen, Anwohner den Gestank. Dennoch werden wie in fast allen Zweigen der Landwirtschaft die Höfe immer größer: Nach Behördenangaben hält der Durchschnittsbetrieb mit rund 340 Schweinen heute etwa 80 Prozent mehr als vor zehn Jahren. Mehr als die Hälfte der Schweine lebt in Unternehmen mit mehr als 1.000 Tieren.

Zum Beispiel die Sau, die auf einem Zettel über ihrem Käfig in der Barnstädter Firma "Nr. 50 130" genannt wird. Sie will sich gerade auf den Boden des "Abferkelstalls" legen - des Stalls, in dem die Tiere geboren werden. Doch 50 130 stößt gegen zwei Stahlbügel, die in Beinhöhe links und rechts in den Käfig hineinragen. Nur langsam zwingt sie ihren massigen Körper an den Barrieren vorbei und liegt endlich. Quiekend arbeiten sich ihre rund 15 rosafarbenen Ferkel an die Zitzen vor und saugen. Das Muttertier öffnet dabei immer wieder das Maul und japst erschöpft.

Produktion: Deutschlands Selbstversorgungsgrad bei Schweinefleisch lag 2008 laut Bundesagrarministerium bei rund 106 Prozent. Das heißt: Die Betriebe hielten im vergangenen Jahr insgesamt 26.686.800 Mast- und Zuchtschweine, die in der Bundesrepublik nicht vollständig verbraucht wurden. Deshalb sind die Produzenten auf den Export angewiesen.

Verbrauch: Jeder Deutsche verbrauchte im Schnitt 53,3 Kilogramm Schweinefleisch. Das sind insgesamt 4,4 Millionen Tonnen, die vor allem gegessen, aber auch zum Beispiel an Haustiere verfüttert oder industriell verwertet werden. In den Läden kostet ein Kilogramm Schweinefleisch im Schnitt cirka 5,40 Euro. Die Bauern bekommen davon nur 1,50 Euro. JMA

Jens Kluge - 35 Jahre, Doktor der Agrarwissenschaft, Brille - leitet als Vorstandsmitglied der Genossenschaft Barnstädt die Anlage. Die Bügel, erzählt er, sollten verhindern, dass die Sauen Ferkel zerquetschen. "Die meisten Tiere verliert man durch Erdrücken", sagt Kluge. Der Deutsche Tierschutzbund bestreitet aber, dass die Gefahr überhaupt existiere, wenn Sauen und Ferkel nur genug Platz hätten. Mehr Platz bedeutet allerdings höhere Kosten, und die könnten die Wettbewerbsfähigkeit des Agrarunternehmens gefährden. "Das ist nicht so, dass wir ein Streichelzoo sind", sagt Kluge, der die Schweine gern als "genetisches Potenzial" oder "Bestand" bezeichnet. "Wir müssen Geld verdienen."

Im Alter von etwa drei Wochen werden die Jungtiere in eine weitere Baracke getrieben, die der Betrieb von einer DDR-Genossenschaft übernommen hat. Gerade klackert eine Gas-Heizkanone, die an der Decke aufgehängt ist. Ihre Flammen heizen den Raum auf ungefähr 30 Grad auf. Das lohnt sich fürs Unternehmen: Nur wenn die Temperatur stimmt, fressen die Schweinchen genug, um möglichst schnell auf Schlachtreife heranzuwachsen.

Die Wände dieser Jungtier-Ställe haben keine Fenster, durch eine kleine Luke in der Tür schafft es kaum ein Sonnenstrahl. Die Neonröhren brennen nur acht Stunden am Tag, glaubt man Kluge. Warum nicht länger? Der Agrarmanager reibt die Finger: "Der Strom kostet", antwortet er und schaltet das Licht wieder aus. Die Schweine verschwinden im Dunkeln.

Weibliche Tiere werden später künstlich besamt. "Wenn sie zweimal nicht tragend sind, gehen sie zum Schlachter", erzählt Kluge. Alle anderen kommen die meiste Zeit der Trächtigkeit in einen eigenen Stall. In ihm stehen drei lange Reihen mit jeweils 62 Einzelkäfigen - "damit sich die Tiere nicht beharken", wie der Landwirt erklärt. Der Tierschutzbund brandmarkt die Kästen für tragende Sauen dennoch als Quälerei: Die Schweine könnten sich nicht genug bewegen und müssten ihren Trieb zum Nestbau unterdrücken. Wenn sie genügend Platz zum Wegrennen hätten, würden sie sich bei ihren natürlichen Rangkämpfen nicht ernsthaft verletzen, sagen die Tierschützer.

Dass das funktioniert, lässt sich sogar in Kluges Reich beobachten. Dort gibt es nämlich auch ein halbrundes Zeltdach, unter dem sich trächtige Sauen einige Monate austoben dürfen. In Gruppenhaltung und ohne Käfig. Dennoch scheint kein Tier verletzt zu sein. Kluge will aber schon deshalb nicht auf die Kästen verzichten, weil man mit ihnen leichter den Überblick behält, welche Sau Futter bekommen hat und welche nicht.

0,75 Quadratmeter

Herz der Barnstädter Schweinefabrik ist der Mastkomplex im Ort Etzdorf, in den die Tiere mit zirka zweieinhalb Monaten umziehen müssen. In zehn Baracken, die jeweils 50 Meter breit und 52 Meter lang sind, leben dort insgesamt fast 10.000 Tiere. "Treibegang" nennt Kluge den Korridor, der die Ställe verbindet. Unzählige Schreie und Grunzlaute hallen über den ausgewaschenen Beton. Jeweils 50 Tiere leben in rechteckigen Buchten aus alten Autobahn-Leitplanken. 0,75 Quadratmeter pro Schwein räumt die Verordnung zum Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere ein. Sie stehen dicht an dicht, immer wieder klettern sie übereinander.

Die Betonböden haben alle paar Zentimeter Schlitze, durch die die Exkremente der Tiere fallen können. Anders als in traditionellen Ställen müssen die Bauern dann nicht mindestens einmal täglich ausmisten.

Gleichzeitig bringen Spaltenböden aber auch Ärger mit Tierschützern. Denn damit die Bauern wirklich Zeit und Geld sparen, verzichten sie bei dieser Methode auch auf die Einstreu - obwohl Schweine den Tierschützern zufolge zum Beispiel Stroh benötigen, um ihren Erkundungstrieb ausleben zu können. Die reizarme Umwelt im Stall verleite sie dazu, sich etwa die Schwänze gegenseitig abzubeißen. Kluge hat dafür auf seine Weise vorgesorgt: Er lässt den Ferkeln die Schwänze stutzen, so dass diese empfindlicher für Schmerz werden. Wenn die Schweine gebissen werden, wehren sie sich dann schneller und verhindern so schwerere Verletzungen.

In diesem Stall gleißen alle paar Minuten für eine Viertelstunde Neonröhren auf. Sie werden von dem Computer eingeschaltet, der ständig neues Futter in die Tröge presst. Kluge: "Jedes Gramm, das liegen bleibt, kann nicht umgesetzt werden." Er sagt, das Licht gehe sogar nachts an, damit die Schweine "das Futter finden und nicht übereinandersteigen". Aber ein Grund ist wohl auch, dass jedes Mal alle Tiere aufgeweckt und zum Fressen animiert werden sollen.

Denn darum geht es in diesen Hallen vor allem: Die Schweine sollen jeden Tag über 800 Gramm zunehmen. Mit rund 30 Kilogramm kommen sie in die Mastanlage, nur vier Monate später mit etwa 125 Kilo wieder raus. Und das reicht Kluge noch nicht einmal: "Wir müssen schneller werden", sagt er. Denn derzeit fahren er und seine Leute zwar Gewinn ein. Doch das könnte sich rapide ändern, wenn zum Beispiel Futter wieder teurer wird.

Schon wegen des Kostendrucks kommt die sogenannte artgerechte Haltung für Kluge nicht in Frage. Sie sei doppelt so teuer, überschlägt er. "Dann können wir die Schweineproduktion einstellen. Der Verbraucher will nicht mehr bezahlen", sagt der Genossenschaftsvorstand. Deswegen seien die Forderungen nach mehr Tierschutz Heuchelei. "Oder wir können es so wie früher machen: Nur sonntags gibt Fleisch." Für Kluge ist das absurd, Umwelt- und Tierschützer würden genau das begrüßen.

Der Agronom verschränkt die Arme. "Was weiß ein Tierschützer? Was hat der für eine Ausbildung?", fragt Kluge, der über den Energiekonsum in der Ferkelaufzucht promoviert hat. Den Schweinen gehe es doch bei der Hitze im Sommer in den klimaregulierten Ställen besser als im Freien - im Hintergrund surren die Ventilatoren seiner Agrarfabrik. Und vor allem ist ihm wichtig: "Wir bewegen uns im gesetzlichen Rahmen." Sein Betrieb erfülle die Vorschriften zum Tierschutz.

"Glaubenskampf"

Richtig aus der Reserve locken kann man Kluge mit der Frage, warum er nicht auf Bio-Landwirtschaft umstellt. Dort gibt es keine Vollspaltenböden, aber in der Regel Auslauf für die Schweine. "Das würde meine ganze Ausbildung über den Haufen werfen. Das ist ein Glaubenskampf", antwortet der Genossenschaftsvorstand trotzig. Die konventionelle Landwirtschaft sei auch nicht umweltschädlicher als Bio. Zum Beispiel gelangten keine gesundheitsschädlichen Mengen Nitrat ins Grundwasser, wenn die Betriebe nur so viel Gülle wie erlaubt in die Landschaft kippten. Das Problem ist nur, dass die Grenzwerte in der Praxis immer wieder überschritten werden, wie Umweltschützer sagen.

Aber das ficht Kluge nicht an. Also noch ein Einwand: Bürgerinitiativen gegen den Bau von Mastanlagen mit zehntausenden Tieren vor allem in Ostdeutschland warnen besonders vor dem Gestank, den diese Betriebe verursachen. Da guckt Kluge auf den grauen Stallboden und sagt leise, das stechende Gas Ammoniak aus den Schweine-Exkrementen konzentriere sich nun einmal desto stärker, je mehr Tiere an einem Ort leben, "das stimmt". Doch dann hebt der Agrarmanager den Kopf wieder und sagt: Die Geruchswolken kämen meist hinter den Dörfern herunter.

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