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Massive Wahlfälschungen im Kongo„Die Diktatur hat die Wahlen geklaut“

Wahlbeobachter finden erstaunlich viele Beweise für Fälschungen. So sollen ganze Bezirke Kabila mit 100 Prozent gewählt haben. Dem Land drohen schwere Kämpfe.

Ein Unterstützer der Opposition wird von einem Soldaten in Kinshasa aufgehalten Bild: dapd

KINSHASA taz | Kinshasa ähnelt einer Geisterstadt. Die sonst so belebten Straßen der 10-Millionen-Metropole der Demokratischen Republik Kongo sind wie leergefegt. Kaum ein Fußgänger stapft durch die matschigen Gassen, niemand bietet am Straßenrand mehr Mangos oder Bananen feil. Nur wenige beten am Sonntag in den sonst übervollen Kirchen. Selbst die zahllosen Straßenkinder, die stets rastlos Fußgänger anbetteln, haben sich verkrochen.

Die einzigen Fahrzeuge, die auf den Boulevards vom Stadtzentrum Gombe in die Elendsviertel hineinfahren, sind Militär- und Polizeilastwagen: Sie transportieren Tausende Soldaten der Präsidentengarde hin und her. Polizisten der Einsatzbereitschaft gucken böse und erschöpft von den Transportern herunter, die Gewehre mit Tränengaskartuschen im Anschlag. Eine Stadt im absoluten Ausnahmezustand.

Ein älterer Mann schleicht sich im Trainingsanzug aus einer Hofeinfahrt heraus. Seit Freitagabend habe er sich nicht vor die Tür gewagt, berichtet er: Die ganze Nacht hätte er Schreie und Schüsse gehört, der Strom sei ausgefallen. „Alle haben Angst“, sagt er und guckt die menschenleere Straße hinunter: „Ich habe nichts zu Essen zu Hause“, seufzt er. Er wolle Brot kaufen gehen, sagt er. Doch er wisse nicht, wo.

Ein paar Jugendliche kommen angelaufen: „Die Soldaten haben uns beleidigt und bedroht“, brüllt einer. „Wir lassen uns das nicht länger gefallen von dieser Regierung“, zetert ein anderer. Sie sind außer sich vor Wut: „Diese Diktatur hat uns die Wahlen geklaut, die Ergebnisse sind alle gefälscht.“ Der alte Mann daneben nickt: „Wir hatten so viel Hoffnung in diese Wahl und die internationalen Beobachter waren hier, aber sie sind alle Komplizen, denn sie schweigen“, schüttelt er den Kopf.

Unterschiedliche Wahlergebnisse

Laut den vorläufigen Wahlergebnissen hat Präsident Joseph Kabila 49 Prozent erzielt, sein Hauptrivale Etienne Tshisekedi holte 33 Prozent. Die alternativen Wahlergebnisse, die die Opposition herausgab, lassen Tshisekedi mit 53 Prozent als Sieger erscheinen, vor Kabila mit 26 Prozent.

Unter dem enormen Druck der Opposition sowie der Internationalem Gemeinschaft hat sich die Wahlkommission CENI breitschlagen lassen, die Ergebnisse Wahllokal für Wahllokal aufzuschlüsseln. Diese Tabellen sind nun im Internet zugänglich und macht es lokalen und internationalen Wahlbeobachtern möglich, den Zahlen auf den Grund zu gehen. Eine unabhängige Wahlbeobachterkommission bricht drei Stunden nach der Verkündigung der Ergebnisse das Schweigen: „Wir haben schlagkräftige Beweise für Unregelmäßigkeiten“, sagt David Pottie vom amerikanischen Carter-Center und knallt die 169 Seiten Ergebnisse auf den Tisch.

Ergebnisse von knapp 2.000 Wahlstationen verloren

In der Kabila-Hochburg in der südlichen Provinz Katanga habe es einen ungewöhnlich hohe Wahlbeteiligung gegeben, erklärt er. Im Wahlbezirk Malemba-Nkulu stimmten 99,46 Prozent der registrierten Wähler ab. Ausnahmslos alle 266.886 Wähler stimmten für Präsident Kabila. Er gewann den Bezirk mit 100 Prozent. „Solch ein patriotischer Akt ist einfach unmöglich“, schüttelt Pottie den Kopf.

In den Oppositionshochburgen Kinshasa oder Kasai, wo Tshisekedi herstammt, verhalten sich die Unregelmäßigkeiten umgekehrt, so Pottie: auffällig geringe Wahlbeteiligung, die Ergebnisse von knapp 2.000 Wahlstationen gingen irgendwo verloren. Dies macht allein in Kinshasa mindestens 300.000 ungezählte Stimmen für Tshisekedi. Dass dieser die Ergebnisse nicht anerkenne, „ist komplett verständlich“, sagt Pottie.

Der Konflikt zwischen den Rivalen setzt sich in den beiden Pro-Tshisekedi-Kasai-Provinzen und der Kabila-Hochburg Katanga fort. In der Grenzstadt zwischen den beiden Nachbarprovinzen, Kamina – wo die Eisenbahnlinien zusammenlaufen und eine der größten Militärbasen steht – wurden Kasaier am Wochenende mit Macheten niedergemetzelt. Der Kampf um das Präsidentenamt könnte nicht nur dort zu systematischen ethnischen Säuberungen führen.

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6 Kommentare

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  • S
    sonja

    Lieber Herr Lilge,

     

    so ganz kann ich ihre Kritik jetzt nicht nachvollziehen. Muss vielleicht noch hinzufügen, dass meine Informationen nicht nur von facebook stammen, sondern auch sehr direkt aus dem Lande selbst (vertrauenswürdige Quellen sozusagen) und ich meine Eindrücke schon seit längerer Zeit sammele. Natürlich ist es richtig, dass das Land sehr groß ist und die Situation an verschiedenen Orten sehr unterschiedlich sein kann. Aber denken Sie tatsächlich, es ist in Ordnung, wenn der Süden ruhig ist, im Osten dagegen müssen die Menschen Tag und Nacht um ihr Leben, ihre Unversehrtheit und ihren wenigen Besitz bangen, weil die Regierung nicht in der Lage (und gar nicht Willens?) ist, dort für Sicherheit zu sorgen? Sollen die Menschen, die tagtäglich mit der Korruption, Willkür und Unsicherheit zu kämpfen haben, jetzt gänzlich still sein und ihr Schicksal akzeptieren?

    Lieber Herr Lilge, genau das will ich sagen: Sie können in diesem großen Land nicht von der Ruhe in einem Ort auf Ruhe und Sicherheit im ganzen Land schließen. Meine Kritik an anderen Leserbriefschreibern mag überzogen sein. Was sie wiedergeben ist aber meiner Meinung nach nichts anderes als die offiziellen Regierungsverlautbarungen, die den Leuten sowieso ständig um die Ohren gehauen werden.

  • HL
    Henning Lilge

    Liebe "Sonja",

     

    wir haben heute (und auch schon früher)das Problem der "Zuverlässigkeit" der Quellen. Während man von "offiziellen" Quellen wie bekannten Zeitungen und Rundfunksender die politische Ausrichtung kennt, ist dies von Bloggeren und Facebooknutzern natürlich nicht bekannt. Trotzdem werden sie wie unabhängige , "wahre" Zeugen behandelt. Diese geistige Unabhängigkeit gilt meiner Meinung nach fuer die wenigsten Menschen. Henry Nannen, ein bekannter Journalist , hat später enthüllt, dass er sich seine ersten Leserbriefe selbst geschrieben hat. Wer garantiert Ihnen, dass Facebookeintäge nicht gezielt lanziert werden? Ich spreche hier ein generelles Problem im Kampf um die "Wahrheitshoheit" an. Reicht es aus, wenn 1000 Einträge in Facebook erscheinen, damit ein Land mit Krieg überzogen wird?

    Warum hat Wikileaks seine "Enthuellungen" von renommierten Zeitungen gegenchecken lassen, bevor diese publiziert wurden? Bitte vergesen Sie auch nicht, dass Facebook als amerikanisches Unternehmen US amerikanischem Hoheitsrecht unterliegt. Unabhängig? Trotz allem: Ihre Zusatzbeobachtungen sind bedenkenswert, nur nicht bis zur Konsequenz, die Sie andeuten. Die Disqualifizierung anderer Leserbriefschreiber ist aus meiner Sicht überzogen, da diese ander wichtige Teilaspekte benannt haben.

     

    Mit freundlichen Gruessen

    Henning Lilge

  • S
    sonja

    Herr Peter v. Baggo: Sollten Sie trotz Ihrer guten Verbindungen nicht mitbekommen haben, dass Nachrichten im Kongo derzeit weitgehend unterbunden werden? Etliche Radio- und TV- Stationen werden am senden gehindert. Ebenso ist der Austausch von SMS-Nachrichten unterbunden. Warum wohl? Ich jedenfalls habe von den erwähnten Vorfällen über facebook erfahren. Übrigens hält sich auch radio okapi wohl weitgehend an offizielle Verlautbarungen und Polizeiberichte. Und dieses Gerede über den Zusammenhang zwischen Stammeszugehörigkeit und Wahlverhalten erinnert mich irgendwie ganz fatal an Äußerungen eines gewissen Herrn Franz Josef Strauß, der mit "Stammesfedhen" stets die Notwendigkeit der Apartheid in Südafrika begründet hat. Und was soll diese Kritik an der angeblichen "Kampagne gegen Kabila"? Leuten wie Ihnen kann mit dem selben Recht vorgeworfen werden, Kabila zu unterstützen und damit die politische Stagnation des Landes zu fördern, die verbunden ist mit Repression, Einschüchterung und Unterdrückung jeglicher oppositionellen Kräfte.

  • PV
    Peter v. Baggo

    Mein Freund aus dem Kongo schreibt: Von den von der Frau Schlindwein beschriebenen Massakern von Kassais haben wir wirklich nicht gehört. Selbst der UNO-Sender (www.radiookapi.net), in dem sowohl Katanga als auch in anderen Provinzen überwiegend aus den Kassais stammende Journalisten arbeiten, hat nichts davon berichtet. Die MONUSCO (Mission de l’Organisation des Nations Unies pour la stabilisation en République démocratique du Congo) hat eins der besten Netze im Land, so dass ihren Sender öfters schneller und frühzeitiger informiert ist, als anderen Sender.

    Als Beleg für Wahlfälschungen wird gern angeführt, dass 100 % der Wählerstimmen eines Wahllokals zugunsten von Kabila abgegeben wurden. Das lässt sich einfach erklären: Im Kongo sind sehr viele Dörfern monoethnisch, d.h. in solchen Dörfern leben nur Menschen aus einem einzigen Stamm; und wenn ein Stamm-Mitglied kandidiert, ist es selbstverständlich, dass alle diesen Kandidaten wählen. Man muss bedenken, dass es im Kongo keine Partei im deutschen Sinn gibt, sondern eine Partei besteht hauptsachlich aus den gleichen Stammes-Angehörigen ... So ist es auch bei der UDPS, der Partei von Etienne Tshisekedi, sie besteht mehrheitlich aus Kassais.

    Die gegen Kabila gerichtete Kampagne ist nicht friedensfördernd. Was denkt ihr wird wirklich passieren, wenn derartigen Massakern in Kamina gäbe? Dies wird der Anfang vom Ende des Kongo sein. Am Ende derartigen Massakern werden die Menschen aus Kassais nie wieder in Katanga leben können und Katanga wird sich von Kongo abtrennen...

    Was wollen eure Journalisten mit ihren Berichten erreichen? Self fulfilling prophecy. Man erwartet, dass der Kongo in ein Chaos gerät, damit man intervenieren kann und gegebenenfalls eine Teilung dieses großen Landes erreicht: divide et impera! Aber das wird nicht passieren.

  • T
    Tobias

    Der 'Soldat' auf dem Bild in Wirklichkeit ein Polizist und die Zeile 'dem Land drohen schwere Kämpfe' eine Erinnerung an die Überschriften der Bildzeitung. Liesst es sich besser dem Land schwere Kämpfe zuzuschreiben anstatt zu differenzieren? Kinshasa oder die Kasais sind nur ein Teil des Kongos. Wer den Kongo kennt weiss um den Unterschied zwischen der Hauptstadt und den Provinzen. Wo bleibt die Reflexion die die Unterschiede versucht einzufangen? Während es stimmt das die Polizei und das Militär vor der Veröffentlichung der Wahlergebnisse überpräsent waren, so habe ich keine 'tausende' Soldaten in Kinshasa gesehen. Warum müssen ethnische Konflikte herbeigeredet werden? Wo bleibt der reflektierte Journalismus den man sich von der Taz wünscht?

  • HL
    Henning Lilge

    Sehr geehrte Redaktion ,

     

    am 08.12.11 und am 11.12.11 (3 Tage spaeter) sehen wir dasselbe Foto zu den Vorgaengen in Kinshasa. Ist der Polizist und sein Widersacher in politische Totenstarre verfallen - ueber 3 Tage? Kann sich die TAZ den Aufkauf neuer Fotos nicht mehr leisten? War das Foto so medienwirksam, dass man auf neues optisches Material verzichten kann? Oder hält uns die TAZ schlicht und einfach für optisch und geistig ausreichend blind und verblödet - dank oder trotz ihrer Informationspolitik?

     

    Eine Antwort ist "highly appreciated"

     

    Mit freundlichen Gruessen

    Henning Lilge