■ Japaner empört über Atompilz auf Briefmarke: Massenmord als Postwertzeichen
Tokio (taz) – Die japanische Regierung hat am vergangenen Freitag beim amerikanischen Außenministerium eine offizielle Protestnote gegen die Herausgabe einer neuen Briefmarke zum 50. Jubiläum des Weltkriegsendes im nächsten Jahr eingereicht. Die von der US-Post kürzlich vorgelegte Briefmarke zeigt den Atompilz von Hiroshima mit der Unterschrift: „August 1945: Atombomben beschleunigen das Kriegsende“.
In Japan löste die Briefmarke einen landesweiten Aufschrei aus. Hitoshi Motoshima, Bürgermeister der Atombombenstadt Nagasaki, nannte die Pläne der US-Post „herzlos“. Regierungssprecher Kozo Igarashi sagte in Tokio: „Der Abwurf der Atombombe ist natürlich ein historisches Faktum, aber es kamen dabei auch mehr als 300.000 Japaner ums Leben“. Zuvor hatte das US-Außenministerium, das für die Auswahl der Jubiläumsbriefmarken gemeinsam mit anderen US-Behörden Experten bestimt hatte, offenbar Einlenken signalisiert. Am Wochenende berichteten japanische Zeitungen, daß die US-Regierung die umstrittene Briefmarke nicht mehr herausgeben wolle.
Hinter der öffentlichen Kontroverse verbirgt sich ein nie beigelegter historischer Streit zwischen Siegern und Verlierern des Zweiten Weltkriegs. Während amerikanische Historiker mehrheitlich behaupten, der damalige US-Präsident Truman habe den Abwurf der Atombomben geordert, um weitere Verluste der landenden US- Truppen zu vermeiden und Japan zur Kapitulation zu zwingen, meinen japanische Kritiker, daß im August 1945 mit größerem militärischem Widerstand in Japan nicht mehr zu rechnen war und die Atombomben als Warnung gegenüber der Sowjetunion im gerade beginnenden Kalten Krieg eingesetzt wurden. Der Briefmarkenstreit und die immer noch weit auseinanderdriftenden Interpretationen dürften dafür sorgen, daß sich Japan und die USA auch im 50. Jahr nach Kriegsende in wesentlichen Fragen der Geschichtsauffassung nicht näherkommen. Georg Blume
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