Massenimpfung gegen Schweinegrippe verschoben: Kein Schwein wird geimpft
Das gemeine Volk bekommt erst einmal keine Spritze gegen den H1N1-Virus - weil es bislang keine Ärzte gibt, die impfen wollen. Senat und Ärzteschaft verzetteln sich in einem Kleinkrieg um die Honorare.
Aus der für Montag angekündigten Massenimpfung gegen die Schweinegrippe wird erstmal nichts. Nur wer im Krankenhaus arbeitet oder chronisch krank ist, bekommt den Schutz gegen die so genannte Neue Grippe "H1N1". Alle anderen BerlinerInnen können frühestens in ein bis zwei Wochen ihre Spritze bekommen. Bislang hat der Senat keine Verträge mit ÄrztInnen abschließen können, die die Impfungen vornehmen sollen.
Hintergrund der Verzögerung ist ein Streit um die Ärztehonorare. 5,50 Euro für die erste und 4,50 Euro für die zweite Impfung bietet der Senat an, die Kassenärztliche Vereinigung (KV) dagegen fordert jeweils 7,15 Euro, das sonst übliche Honorar für Einzelimpfungen. "Der Aufwand für Beratungsgespräche und Hausbesuche ist sonst nicht zu stemmen", erklärte Angelika Prehn, Vorsitzende der KV, am Donnerstag gegenüber der taz.
Die Ständige Impfkommission (Stiko) des Robert-Koch-Instituts rät zur baldigen Spritze gegen die Schweinegrippe. Doch die Debatte über mögliche Nebenwirkungen durch sogenannte Wirkverstärker teilt die Berliner Ärzteschaft.
Marlis Jagemann, Allgemeinmedizinerin in Kreuzberg, steht beispielsweise der Empfehlung des Instituts skeptisch gegenüber. "Grundsätzlich bin ich kein Impfmuffel", sagt Jagemann. Zur normalen Grippeimpfung rate sie sehr. Doch beim Anti-Schweinegrippe-Serum gebe es noch zu wenig Informationen über die Nebenwirkungen. "Ich müsste das Mittel erst an mir selbst testen, bevor ich es verabreichen könnte", sagt die Ärtzin.
Jagemann sieht hier auch ein logistisches Problem: "In einer Flasche sind zehn Impfdosen. Sobald eine verwendet wird, muss der Rest innerhalb von 24 Stunden aufgebraucht werden." Es müssten also erst einmal zehn Patienten zusammenkommen.
Dieter Schwochow, Allgemeinmediziner in Mahlsdorf, hingegen empfiehlt den Griff zur Spritze: "Die Impfung macht Sinn. Wir haben gute Erfahrung mit der Impfung gegen die jährliche Influenza gemacht." Zwar seien Schweingrippefälle in Deutschland und Berlin bisher eher harmlos verlaufen, dennoch sei sie grundsätzlich gefährlicher als eine normale Influenza einzuschätzen. Niemand wisse, was noch passieren werde, so Schwochow. "Denn eine Grippeepidemie verläuft in zwei Wellen, und das dicke Ende könnte noch kommen."
Die Diskussion über die Nebenwirkungen kann er nicht nachvollziehen: "Das sind die gleichen Wirkverstärker, die seit Jahren im normalen Grippeimpfmittel verwendet werden." Und diese seien auch für ältere Menschen verträglich. Aus diesem Grund sei die Diskussion "an den Haaren herbeigezogen". JMO
"Ich bedaure außerordentlich, dass Partikularinteressen vor gesamtgesellschaftliche Verantwortung gestellt wird", kritisierte Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linke). 8,33 Euro koste eine Dosis, hinzu kämen Kosten für Spritzen, Arzthonorare und die Logistik. 28 Euro zahlen die Krankenkasse pro Impfung in einen eigens eingerichteten Schweinegrippen-Fonds. "Da ist kein Spielraum für höhere Honorare", sagte Lompscher. Nun biete das Land ÄrztInnen Einzelverträge an, diese Anfragen sind Lompscher zufolge am Mittwoch an 2.000 Praxen verschickt worden. Erst wenn die Verträge ausgehandelt sind und die Arztpraxen mit Impfstoff beliefert sind, ist dort eine Impfung möglich. "Wenn die Infektionszahlen in Berlin zunehmen, wird natürlich jeder Arzt impfen, egal wie hoch das Honorar ist. Doch derzeit ist keine Not erkennbar", erklärt Stephan Bernhardt, Vorstandsmitglied des Berufsverbandes der Allgemeinmediziner Berlin-Brandenburg.
Trotzdem warb Katrin Lompscher am Donnerstag fleißig für die Impfung. Die Situation sei in Berlin mit 764 Fällen von Schweinegrippe nicht besorgniserregend, aber niemand könne wissen, was kommt. "Wir hoffen das Beste, aber bereiten uns auf das Schlimmste vor", erklärte sie.
Polizei und Feuerwehr werden am Montag auch noch nicht geimpft, da sie gerade die normale Grippeimpfung erhalten; nach dieser soll zwei Woche bis zum Schweingrippenpieks gewartetet werden. So werden Krankenschwestern, Pfleger und ÄrztInnen am Montag die ersten sein, die von ihren BetriebsärztInnen gestochen werden. Doch gerade unter ÄrztInnen ist die Impfbereitschaft nicht sehr hoch. Nur zwischen 11 und 20 Prozent der Charité-MedizinerInnen haben sich in den vergangenen Jahren gegen Grippe impfen lassen. "Ich halte das für moralisch bedenklich, denn es geht auch um die Gefährdung anderer", sagt Charitéarzt Frank Bergmann.
Laut einer Forsaumfrage wollen sich derzeit ein Fünftel der Deutschen impfen lassen. Auf www.berlin.de/impfen können sich impfwillige BerlinerInnen in den nächsten Wochen darüber informieren, ab wann und bei welchen ÄrztInnen sie ihre Spritze bekommen können.
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