Massengesichtserkennung via Facebook: Keine Blondine entkommt
Unerkannt zur Demo gehen oder ein Bier zu viel beim Karneval ist nicht mehr. Facebooks Gesichtserkennnung macht aus anonymen Massenbildern markierte Risikofaktoren.
Es ist ein beeindruckendes Bild: 25.000 Menschen stehen vor einer Bühne, ein Meer aus Köpfen, die teils gelangweilt, teils in Feierstimmung auf den nächsten Gig warten. Es ist das Panorama des Rheinkulturfestivals, das am 2. Juli in Bonn stattfand. Fotografiert wurde es von Jeffrey Martin im Auftrag des WDR.
Der Sender hat dazu aufgerufen, die Gesichter auf dem Bild mit Facebook-Profilen zu kennzeichnen – bisher sind knapp 1.500 Markierungen gesetzt worden. Bei einem ähnlichen Projekt zum Glastonbury Festival 2010 sind es bereits 9.000 identifizierte Gesichter – ob davon allerdings jede Markierung stimmt, darf getrost bezweifelt werden.
Trotzdem haben die Aktionen zu einem großen Aufschrei des Protestes geführt: "Generation Gesichtserkenung" titelte die FAZ am Mittwoch und brachte das Bild von Glastonbury auf der Titelseite. Andernorts beklagt man sich über die mangelnden Möglichkeiten zur Anonymisierung, nachdem man getagged wurde und über die Verschwendung von öffentlich-rechtlichen Gebühren.
Tatsächlich verhelfen diese Aktionen kurzfristig den Festivals zu einer Menge Aufmerksamkeit, langfristig aber vor allem der Facebook-Gesichtserkennung. Mit jedem Foto eines Nutzers steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Dienst weitere Fotos wiedererkennt, weil ihm dann noch genauere Daten - wie die Abstände und Größen von Mund, Augen, Nase und Kinn - vorliegen.
Schmerzfreies Facebook
Technisch machbar ist die Gesichtserkennung schon länger, Dienste wie Googles Picasa, iPhoto und die Windows Live Galerie arbeiten bereits eine ganze Weile damit. Allerdings blieben bei diesen Anwendungen die Vorschläge immer lokal und wurden nicht standardmäßig online, also für alle sichtbar, durchgeführt. Dass aber Facebook damit einen Tabubruch vollzogen habe, ist weit hergeholt: "Zahlreiche Unternehmen" von Apple über die russische Suchmaschine Yandex bis Google und Microsoft, so Steffan Heuer auf Heise, arbeiten an ähnlichen Verfahren. Google hält seine Ergebnisse bisher zurück, Facebook war da schmerzfreier.
Das Verfahren mag schon lang in Erprobung sein, bisher brauchte es aber gut ausgeleuchtete Frontalfotos und qualitativ hochwertige Vergleichsbilder. Die werden nicht mehr notwendig sein, wenn die Nutzer die Datenbanken füllen, beispielsweise iPhone-Apps Physiognomien identifizieren und online mit Nutzerkonten verbinden. "Jeder, der sein Gesicht in der Öffentlichkeit zeigt, kann potenziell identifiziert werden – die attraktive Blondine am Nebentisch, der Passant im Hintergrund eines Touristenfotos, der Besoffene auf dem Rosenmontagszug", schreibt Heuer.
Dass diese Entwicklung umkehrbar ist, hält Markus Beckedahl von der Digitalen Gesellschaft für unwahrscheinlich: "Es steht zu befürchten, dass wir da überrollt werden." Wünschenswert wäre, dass die Daten und Bilder des Nutzers nur nach seiner Einwilligung frei zugänglich sind. "Es müsste da ein Identity- Management-System geben, wo man mit Häkchen klar machen kann, was man will, und sich nicht hinterher durch Widerspruch zu seinem Recht verhelfen lassen muss."
Vorteil: Verkürzter Smalltalk
Die Gesichtserkennung an sich sei nicht nur negativ, sagt Beckedahl: "Natürlich ist es besser, wenn man auf einer Party ist und nicht so viele Leute kennt, herauszufinden, wer einen jetzt interessiert oder wie man ein Gespräch einleitet. Das verkürzt den Smalltalk." Momentan überwiegen aber noch die negativen Seiten: Allein die Vorstellung, wie viele Ehen nach dem Kölner Karneval geschieden werden würden, weil die Partner im Netz den fremdknutschenden Abschnittsgefährten identifizieren, bereiten Bedenken.
"Außerdem wird die informationelle Selbstbestimmung unterlaufen", sagt Beckedahl: Aus Angst, vom Arbeitgeber wiedererkannt zu werden, könnten Bürger sich abgeschreckt fühlen, an Demonstrationen teilzunehmen. "Das hat durchaus etwas einschüchterndes und kann die demokratische Willensäußerung beschränken."
Ist es aber nicht so, dass, wenn alle nackt sind, einen die eigene Nacktheit nicht stört? Wenn über jeden alles im Netz herauszufinden ist, und zwar sofort, aus der eigenen Durchsichtigkeit kein Nachteil erwächst? "Das klingt ja ganz nett", meint Beckedahl, "aber die Bild und andere Leute wird's weiterhin geben, die diese Offenheit zu ihren Zwecken ausnutzen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann