: Massenflucht vor Katangas Schreckensmilizen
Hunderttausende Menschen fliehen in Kongos Südprovinz Katanga vor Kämpfen zwischen Regierungsarmee und abtrünnigen Milizen. Hinter den Kämpfen steckt politisches Kalkül. Die Kriegsregion ist Heimat von Präsident Kabila
BERLIN taz ■ In Kongos Südprovinz Katanga spielt sich derzeit das schlimmste humanitäre Drama des Landes seit dem offiziellen Ende des Krieges ab. Bis zu 300.000 Menschen sind im Norden Katangas, von Pweto am gleichnamigen See an der Grenze zu Sambia bis an den Oberlauf des Kongo-Flusses, auf der Flucht vor Milizen, denen Menschenrechtler Massenvergewaltigung und Kannibalismus nachsagen.
Vor fünf Jahren entschied sich hier, in der Südostecke des Kongo, die Zukunft des Landes. Die von Ruanda unterstützten Rebellen der Kongolesischen Sammlung für Demokratie (RCD) schlugen am Ort Pweto die von Generalmajor Joseph Kabila geführte Regierungsarmee in die Flucht, Joseph Kabila floh ins nahe Sambia, und den Rebellen stand der Weg zum Sieg offen. Daraufhin kam es am 16. Januar 2001 zur mysteriösen Ermordung von Kongos Präsident Laurent-Désiré Kabila. Sohn Joseph ergriff die Macht und schloss Frieden. Heute steht die Allparteienregierung, die daraus entstand, vor ihrer kritischsten Probe: freie Wahlen. Wieder erscheint das Überleben der Kabila-Herrschaft fraglich, und wieder rückt Kongos Südostecke ins Zentrum der Aufmerksamkeit.
„Die Zustände sind verheerend“, berichtet aus der Kleinstadt Dubie nahe Pweto, wo unter 10.000 Einwohnern 40.000 Vertriebene leben, das katholische Hilfswerk Caritas. „Manche Vertriebenen sind seit fast zwei Monaten ohne Nahrung unterwegs, viele Kinder sind so mangelernährt, dass ihr Leben bedroht ist. Kaum noch jemand hat menschenwürdige Kleidung.“
Caritas hat Nothilfe nach Dubie gebracht, finanziert von Deutschland. Die Kirchen sprechen seit Jahren von Massenvertreibungen in der Nordhälfte Katangas durch informelle Milizen, genannt Mayi-Mayi. Genannt als Urheber wird meistens der Kommandant Gédeon, dessen Milizionäre die kongolesische Zeitung Le Phare letzte Woche als „die schrecklichsten, die der Kongo je gesehen hat“ bezeichnete.
Es war die Regierung Kabila, die die Mayi-Mayi-Milizen einst gründete, zur Abwehr Ruandas. Gédeon wurde nach Recherchen der Menschenrechtsorganisation Asadho/Katanga im Jahr 2000 von der Provinzregierung Katangas als „Brigadegeneral“ für den Ort Museka in die Mayi-Mayi-Struktur aufgenommen. Die Milizen wurden von Kabilas Luftwaffenchef, General John Numbi, mit Waffen versorgt. Mit ihnen kämpfte auch eine komplette Brigade flüchtiger ruandischer Hutu-Soldaten.
Bis heute ist Numbi einer der wichtigsten Generäle im Umfeld Kabilas, und bis 2004 soll er Waffen an die Mayi-Mayi in Katanga geliefert haben – auch dann, als diese sich der Integration in Kongos Armee widersetzten. Zum Bruch zwischen Regierung und Mayi-Mayi war es in Katanga im Juli 2002 gekommen, als Kongo Frieden mit Ruanda schloss und die Entwaffnung und Repatriierung seiner ruandischen Hutu-Kämpfer zusagte. Als Erstes sollte die Hutu-Brigade von Katanga aufgelöst werden – sie wehrte sich, unterstützt von Mayi-Mayi.
Bis heute hat es Kongos Regierung nicht wieder gewagt, ruandische Hutu-Kämpfer gewaltsam zu entwaffnen. Die Mayi-Mayi von Katanga stehen nach wie vor außerhalb des Friedensprozesses. Lokale Beobachter sehen in ihnen eine Reservearmee der Kabila-treuen Generäle für den Fall, dass dieser die Wahlen verlieren sollte. Die Hochburg der Milizen in Nord-Katanga ist Kabilas Heimatregion. Dort gibt es Goldminen und Tantalvorkommen.
Als daher Kongos Armeeführung Anfang November 2005 dem Mayi-Mayi-Führer Gédeon ein Ultimatum stellte, die Waffen zu strecken, nahm das niemand ernst. Am 15. November verstrich das Ultimatum, Regierungstruppen begannen mit Angriffen. Bald tauchten die ersten Vertriebenen südlich des Kampfgebietes auf, zum Beispiel in Dubie. Es wurden immer mehr: 60.000 bis Mitte Dezember, 120.000 bis 6. Januar. Erfolge meldet die Regierung bisher nicht. Ihre Truppen rücken meist dort vor, wo keine Milizen stehen, und rauben stattdessen Flüchtlinge aus.
Anders als in anderen Regionen Ostkongos ist hier kein Eingreifen der UNO zu erwarten. Die UN-Mission im Kongo (Monuc) bat letztes Jahr um eine Verstärkung ihrer rund 16.000 Soldaten um 2.850, um auch in Katanga präsent zu sein. Der UN-Sicherheitsrat billigte lediglich 300. Sie sollen aus Benin in den Kongo kommen. Bisher sind sie noch nicht da, und ein Schiff, das ihre Ausrüstung in den Kongo bringen sollte, wurde am Wochenende von der Regierung Äquatorial-Guineas vor dessen Küste aufgehalten und unter dem Verdacht einer Putschvorbereitung beschlagnahmt.
DOMINIC JOHNSON