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Maschinengewehrstakkato

■ Kunst im Ohr: Caspar Brötzmanns Massaker und Helmet in der Markthalle

Wer hätte daran auch nur einen Moment lang gedacht: den Etappensieg der bedeutungsschwangeren Malerei über kantig-moderne Abstraktion. Caspar Brötzmann, das wertstabile Modell aus den 80ern, jahrelang in dunkel gekleideten Künstlerkreisen als Bonmot gepflegt, traf auf die (qualitätsgesiebte, vermengte) MTV-geprägte Jungmenschheit.

Was seit Bestehen unter der betont und bewußt massenfeindlichen Kategorie „Hör mit Schmerzen“ in den Plattennischen und Werkstatt-Ateliers des etwas besseren/anderen Musikgeschmacks eigenbrötlerte, ist nun nicht etwa gefällig übersetzt oder melodisch „aufgewertet“ worden. Vielmehr trifft Brötzmanns integerer Bruitismus 1993 auf veränderte Hörgewohnheiten, auf neue Selbstverständlichkeiten. Wo Metallica Hitparade, Ministry und Rage Against The Machine Jugendkonsens sind, wo sich Faszination und Schock schneller abnutzen als Radiergummi, da ist Caspars unaffektierte Bürgerschreckmusik endlich eine neue Herausforderung und suggeriert so die kleine Exklusivität, die sich (noch) nicht anziehen läßt.

So bot Massaker eine Auswahl an Stücken, die auch im erweiterten Neu-Metal-Kontext eigentlich nur als nichtendenwollendes Stück-Abschluß-Inferno erscheinen dürften oder durch ihre leisen, intimen Passagen das Publikum in der ausverkauften Markthalle mit ungewohnter Emotionalität konfontierten. Plötzlich stieß der langjährige Arbeiter am musikalischen Weltende-Geschmack bei jungen Alternatives auf faszinierte Irritation.

Daß die Menge nicht wie vor zwei Jahren, bei einer Lesung von Henry Rollins und Lydia Lunch, zur Hälfte den Raum verließ, dankte der hochaufgeschossene Berliner sicherlich aber auch seinen Dolmetschern Danny und Eduardo, die mit ihrer weltweit verständlichen, zum Abschneiden fetten Rhythmusarbeit den roten Teppich für jene Töne auslegten, die Brötzmanns lange Finger seiner umgedrehten Linkshänder-Gitarre mit dem extra dicken Hochspannungskabel entlockten. Mit Maschinengewehrstakkato-Brüchen des letzten Massaker-Stücks bot sich der ideale Übergang zum Folgenden.

Auch Helmet haben den meilenweiten Abstand zwischen beiden Bands einige Schritte verkleinert, gestatteten dem zunehmend weichgeklopften Publikum ein paar hochwillkommene Gitarrenausflüge. Dies jedoch die Ausnahme im eisernen Grundton: vier Männer, vor und zurück, gegen Speck, gegen Zierat, gegen weiches Ausklingen oder links-rechts-schwingen. Eben darin, in der roten Linie, die eher eine Allee war, in der militärischen Strenge, sackten die New Yorker ein, ertranken in der Faszination am eigenen Riff. So war es kein verweichlichtes Harmonie-Streben, das die paar mit eben jener Herz-Komponente ausgestatteten Lieder zu den erbaulichsten machte. Aber vielleicht war es auch der süß nachklingende Lärm des Trios aus Berlin, der die Geschmacksnerven für den weiteren Abend verwirrt hatte. Holger in't Veld

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