Marmor Stein und Eisen Brecht: Augsburgerisch gesprochen
■ Ein Wortbeitrag zum 100.
Lieber Bert Brecht,
noch zu Ihrem 80. Geburtstag hätte ich mich vielleicht um diese Anrede gedrückt und meinen Glückwunschbrief mit der weniger persönlichen Formel „Sehr geehrter Herr Brecht“ eingeleitet. Schon um ein wenig auf Distanz zu gehen, um mich als Privatmann, als Leser, als Literaturliebhaber nicht über Gebühr ins Amt einzubringen. Denn mein Amt verpflichtet mich ja, möglichst für alle Augsburger zu sprechen. Und keineswegs allen Augsburgern waren Sie damals – und sind Sie heute – lieb, geschweige denn, sie hätten etwas von Ihnen gelesen. Sohn dieser Stadt ja, aber doch ein Sohn, an den man sich nicht unbedingt so gern erinnert. Auf den man allerdings auch irgendwie – zumindest heimlich – stolz ist. (...)
Ein Klassiker mit Widerhaken freilich, einer, zu dem nach wie vor kein Goldschnitt paßt. Und Sie müssen doch auch zugeben: Sie selbst haben es den Augsburgern ja nicht gerade leicht gemacht, Sie zu lieben. Sie paßten nicht in die bürgerliche Atmosphäre des damaligen Augsburg – Sie sollten heute nach Augsburg kommen; wir haben längst aufgeholt –, sie spielten gelegentlich den Bürgerschreck, etwa wenn Sie nachts, mit Ihren Freunden musizierend, mit Lampions durch die Altstadt zogen. Dies ist längst verziehen. (...) Immerhin haben Sie zeitlebens „Augsburgerisch“ gesprochen, wie weiland Goethe seine Frankfurter Herkunft nicht verleugnet hat.
Was Ihnen die Augsburger lange nicht verziehen haben, war, daß sie nach den Jahren des Exils nach „drüben“ gingen, ausgerechnet. (...)
Mittlerweile hat sich der „reale Sozialismus“ selbst aufgelöst; die Szenerie hätte von Ihnen stammen können. Mit der Wiedervereinigung haben wir Sie auch wiederbekommen, ungeteilt. (...) Wir denken oft an Sie, nicht nur offiziell. Nicht zuletzt an den Lyriker, der so wunderschön über den Plärrer oder über die Kastanienallee vor seinem Elternhaus gedichtet hat. Unser heutiger Literatur-Oberkritiker Reich-Ranicki hält Sie sogar als Lyriker für größer als den Stückeschreiber.
So haben Sie in Ihrer „Hauspostille“ geschrieben: „Und dort im Lichte steht Bert Brecht / An einem Hundestein, / Der kriegt kein Wasser, weil man glaubt, / Der müßt im Himmel sein. / Jetzt brennt er in der Höllen / Oh, weint wer Brüder mein! / Sonst steht er am Sonntagnachmittag / Immer wieder dort an seinem Hundestein.“ Das wollen wir nicht. Und wo Sie jetzt wirklich sind, wir wissen es nicht. Ich wünsche Ihnen jedenfalls von Herzen, daß Sie einen schönen Platz irgendwo oben haben und daß Sie manchmal auch gern auf unsere Stadt herunterschauen. Wie schrieben Sie doch noch zu Erdenzeiten: „... Und erinnere mich plötzlich des Holders / Meiner Kindheit in Augsburg. Mehrere Minuten erwäge ich / Ganz ernsthaft, ob ich zum Tisch gehen soll / Meine Brille holen, um wieder / Die schwarzen Beeren an den roten Zweiglein zu sehen.“ Wir haben auch heute noch beides: Schwarzes und Rotes.
Mit herzlichem Gruß
Ihr
Dr. Peter Menacher, Oberbürgermeister der Stadt Augsburg
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