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Marie Gogoll Der WochenendkrimiMordermittlung im ideologisch ungeklärten Milieu

Eine gesellschaftliche Debatte aufgreifen und eine filmische Dramaturgie für sie entwickeln: Dieser Herausforderung stellen sich viele „Tatorte“. Regisseur Rupert Henning versucht es diesen Sonntag gleich in Bezug auf zwei politisch relevante Themen: Polizeigewalt auf der einen, die Bedrohung demokratischer Strukturen durch eine kriminelle Organisation auf der anderen Seite. Beide Themen sind nah dran am Zeitgeschehen, brauchen dringend nachhaltige Lösungen und sind zu ernst für Scherze.

Kann also der Versuch gelingen, sie im „Tatort“-Format zu verhandeln?

Mit Blick auf den neuen Wien-„Tatort“ „Wir sind nicht zu fassen!“ ist die Antwort wohl: nicht wirklich.

Dabei ist das Ausgangsszenario vielversprechend: Seit Wochen finden in der politisch aufgeheizten Hauptstadt Österreichs Demonstrationen von Sys­tem­kri­ti­ke­r*in­nen statt. Auch einen Brandschlag auf eine Polizeiwache hat es schon gegeben. Dann eskaliert die Situation vollends: Nachdem die Polizei eine nicht genehmigte Versammlung räumt, liegt auf einmal ein toter Mensch auf dem Platz: Jakob Volkmann. Die Blutlache neben seinem Kopf weist darauf hin, dass er erschlagen wurde. Von einem Polizeiknüppel?

Zum Todestag von George Floyd hätte dem Film eine kritischere Ausein-andersetzung mit dem System Polizei besser gestanden

Jakob und seine Freundin Katja waren seit gut zwei Jahren in der Protestbewegung aktiv. Sie haben sich während der Pandemie radikalisiert und sind jetzt … ja, was sind sie eigentlich?

Der Film stellt sie als radikale Protestierende vor. Der Ausdruck Querdenker fällt ein paarmal. Es heißt auch, dass Jakob und Katja gegen „die da oben sind“. Eine Demonstrantin ist außerdem queer-feindlich, zu sehen sind auch Protestschilder gegen Überwachung durch den Staat.

Doch so richtig klar werden Inhalte der Protestbewegung in dem Film nicht herausgearbeitet. Dabei wäre es gerade im Kontext von Österreich, Heimat der Identitären Bewegung und zahlreicher Burschenschaften, wohl nicht so schwierig gewesen, eine rechtsextreme, verfassungsfeindliche Gruppierung mit einer ideologisch klaren Ausrichtung deutlich darzustellen. Vielleicht bleibt der Film in der Beschreibungen der Protestierenden gerade deshalb so wenig konkret, um keine Einteilung in gut und böse nahezulegen – ein Versuch, den ARD-Krimis gerne unternehmen. Die Realität ist da eindeutiger.

Auch die Auseinandersetzung mit der Verantwortung der Polizei rund um den Tod von Jakob Volkmann bleibt eher oberflächlich. Die wichtigen Stichworte werden genannt: Korpsgeist, Recht auf Versammlungsfreiheit, interne Untersuchung. Aber das war’s. Gerade eine Woche nach dem Todestag von George Floyd, dem US-Amerikaner, der vor fünf Jahren von Polizisten getötet wurde, hätte dem Film eine kritischere Auseinandersetzung mit dem System Polizei besser gestanden.

Nun ist ein „Tatort“ keine Polit-Dokumentation, sondern ein Krimi, der Gedanken und Debatten anstoßen kann, in erster Linie aber unterhalten soll. Das klappt. Der Film ist dramaturgisch spannend aufgebaut, hat keine unnötigen Längen und starke Emotionen. Wiener Dialekt und ein Team, das humorvoll und familiär zusammenarbeitet, tun ihr Übriges. Und so ist „Wir sind nicht zu fassen!“ wenn schon keine tiefgehende Abhandlung großer gesellschaftliche Herausforderungen so doch immerhin gelungene Sonntagabendunterhaltung.

Wien-„Tatort“, „Wir sind nicht zu fassen! , So., 20.15 Uhr, ARD

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