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taz FUTURZWEI

Mariam Lau über Alte und Neue Rechte Keine Zeit für Goebbels

Ein Blick auf die inneren Widersprüche der Rechten schadet der AfD weit mehr als der Versuch, sie zu ignorieren. Mariam Lau über Alte und Neue Rechte.

Peinliche Verwandte der Neuen Rechten: AfD-Kader beim Parteitag in Essen 2024 Foto: Thomas Victor

taz FUTURZWEI | „Thüringen ist schön. Der Osten ist schön. Und wir finden längst nicht alles schlecht. Aber ein paar Dinge müssen wir ändern.“ Mit diesen Worten begann der Wahlkampfspot von Björn Höcke, Chef des Thüringer AfD-Landesverbands.

Darf man diesen Sound überraschend finden, überraschend moderat? Nicht: Deutschland schafft sich ab, das Land geht unter, wird bevölkerungsausgetauscht, nur ein Umsturz kann uns noch retten, sondern – „wir finden nicht alles schlecht. Es ist schön hier“.

Seit die AfD 2013 auf der politischen Bühne aufgetaucht ist, haben wir uns angewöhnt, den immergleichen einen Befund zu wiederholen, in praktisch jedem Artikel: Die AfD radikalisiert sich. Sie wird immer extremer. Sie wird immer offener faschistisch, immer offener NS.

Die alte Leier

Einerseits ist das kein Wunder. Die Partei hat sich weiß Gott ins Zeug gelegt, der These von der steten Selbstradikalisierung immer neue Nahrung zu verschaffen. Wenn in diesem Jahr AfD-Veranstaltungen mit dem Ruf „Alice für Deutschland“ eröffnen, die Versammelten also bewusst und von höhnischem Gelächter begleitet eine kaum verkappte SS-Losung („Alles für Deutschland“) skandieren, darf man das durchaus als weiteren Schritt in die offene und frivole NS-Exkulpation lesen.

Der EU-Spitzenkandidat Maximilian Krah hatte im Frühjahr die Richtung eingeläutet mit einer Art TikTok-Napola (Nationalpolitische Lehranstalt): „Echte Männer sind rechts.“ „Deine Vorfahren haben nichts verbrochen“ – um dann ausgerechnet einer italienischen Zeitung, der Repubblica, zu erklären, damit sei durchaus die SS gemeint gewesen. Wenn sich sogar Marine Le Pen mit Abscheu und Entsetzen abwendet – was soll es dann bei der AfD anderes zu sehen geben als einen steten Zug zum Extremismus?

„Es ist nur auf den ersten Blick verwunderlich, dass ausgerechnet die deutschen Vertreter der äußersten Rechten wie von einem politischen Tourettesyndrom getrieben immer wieder im NS-Geraune landen.“

Aber wer die Partei aufmerksam beobachtet, sieht eben immer gleichzeitig beides: Einem Schritt in die Radikalisierung folgt immer wieder auch die Verunsicherung und der Schritt in die Moderation. Dem „Geheimtreffen“ in Potsdam folgt die Entlassung eines der wichtigsten und beliebtesten Mitarbeiter von Alice Weidel, des Juristen Roland Hartwig. Daraufhin wird sie von Götz Kubitschek, dem rechtsextremen Verleger in Schnellroda, der „Melonisierung“ geziehen, dem „Altparteiengehabe“, also einem Einknicken vor dem „Mainstream“.

Stimmte die These vom steten Eigenblut-Doping ins immer Extremere, hätte Weidel daraufhin weg vom Fenster sein müssen. Dann hätte Maximilian Krah nie aus der Brüsseler Delegation ausgeschlossen werden dürfen. Dann müsste längst Björn Höcke Parteichef sein. Aber so war es nicht, so ist es nicht.

Schaukelnder Gang

Stattdessen bot sich auf dem letzten Parteitag der AfD in Essen ein widersprüchliches Bild. Nicht nur wurde Alice Weidel nebst Ko-Parteichef Chrupalla mit leidlich stabilen Werten wiedergewählt. Björn Höcke, den die Partei doch eigentlich auf Händen tragen müsste – der erlebte in Essen eine Niederlage nach der anderen. Wie passt das zusammen?

Die AfD mag längst in der Bundespolitik mitregieren – aber das Bundesrepublikanische regiert auch in die AfD hinein, ob ihr das nun gefällt oder nicht. Es ist – schon für die eigene Stimmung – wichtig, sich das klarzumachen. Weder die monatelangen Massendemonstrationen infolge des Potsdamer Treffens noch die Beobachtung durch den Verfassungsschutz noch die Prozesse gegen Björn Höcke bleiben folgenlos – auch bei ihren Wählern nicht.

Wenn man einen Schritt zurück tritt, sieht man, wie sehr die AfD mit ihrer Schaukelbewegung Teil eines europäischen Geschehens ist. Überall trennt sich die alte von der Neuen Rechten. Die extreme Rechte alten Schlags – das ist die, mit der man hierzulande bestens vertraut ist: Ohne Verehrung für das „Dritte Reich“ und seine Insignien, ohne SA und SS, ohne Göring und Goebbels, ohne Holocaust-Verharmlosung, Rassenhass und Gewaltfantasien kommen diese Leute einfach nicht aus.

Die familiale Fremdscham

Es ist nur auf den ersten Blick verwunderlich, dass ausgerechnet die deutschen Vertreter der äußersten Rechten wie von einem politischen Tourettesyndrom getrieben immer wieder im NS-Geraune landen. Auch oder gerade dann, wenn es eigentlich ganz gut für sie läuft. Vieles ist eben doch noch nicht vorbei. Noch nicht bewältigt. Da glüht noch was.

Der Neuen Rechten sind diese alten Verwandten ein bisschen peinlich. Man gehört im Herzen durchaus zusammen, will aber nicht miteinander gesehen werden. Es passt zur isolierten Lage der AfD in Brüssel, dass die „Nouvelle Droite“ eine Erfindung französischer Philosophen wie Alain de Benoist ist, die sich Anfang der Siebzigerjahre von den Erfolgen der linken Bewegungen eine wichtige Lektion abschauten: Hegemonie wird zuerst in der Kultur errungen, im Radio, in den Liedern, Klamotten und Witzen, im Kino – dann erst im Parlament.

Diese Sphäre nennen sie „Metapolitik“. Was beispielsweise im Frühsommer auf Sylt passiert ist, und zuvor schon in etlichen Discos, auf Volksfesten und in Salons; dass nämlich ein rassistischer Song zum subversiven Partyspaß mit Aperol Spritz wird: Das ist Metapolitik. Tanz den Mussolini!

Blutige Nase

Für die Neue Rechte ist nicht die Linke der Feind Nummer eins, sondern der Liberalismus, die Globalisierung, der „große Austausch“, wie sie die irreguläre Massenmigration nennt. Sie hat einfach keine Zeit für Goebbels.

Für die Zeit beobachte ich die AfD schon seit mehreren Jahren. Immer und immer wieder, speziell wenn ich Leute porträtieren will, kommt die Frage auf: Darf man das? Machen wir sie nicht zu groß, bieten wir ihnen hier nicht eine Bühne? Ich nähere mich „diesen Leuten“ aber mit einer Art kalter Neugier. Wir müssen sie doch ganz genau kennen!

Mariam Lau

MARIAM LAU ist Redakteurin im Politikressort der Zeit und beschäftigt sich seit Jahrtausenden mit den Spielarten des Konservatismus.

Die AfD und ihre Spielarten sind für mich noch lange nicht auserzählt, grade weil da im Journalismus so eine Art magisches Denken herrscht: Wenn wir sie nicht zeigen, jedenfalls nicht als komplexe Menschen, dann gehen sie vielleicht wieder weg.

Es gab in diesem Jahr kein besseres Beispiel für die Hilflosigkeit der AfD-Gegner als den Parteitag in Essen. Die These von der permanenten Radikalisierung und Nazi-Werdung der AfD führt nämlich bei ihren Gegnern oft einerseits zur Depression und Verzweiflung. Andererseits zu einem präpotenten Herumgefuchtel mit dem kostbaren Instrumentarium des Rechtsstaats, bei dem man sich unnötigerweise immer wieder eine blutige Nase holt.

Auf der Siegerstraße

Es fing damit an, dass die Stadt versucht hatte, der AfD die Anmietung der Grugahalle zu verwehren – womit sie vor dem Verwaltungsgericht scheitern musste. Dann hatte ein breites Bündnis von Gewerkschaften bis zur Antifa zur Gegendemo aufgerufen; wunderbar, nur reichte das einigen wenigen nicht. Sie spielten sich vor der Halle auf wie Bürgerwehren.

Alice Weidel spielte in der Halle darauf an, als sie sagte: „Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: 'Ich bin der Faschismus'“, ein Zitat des italienischen Schriftstellers Ignazio Silone. „Er wird sagen: 'Ich bin der Antifaschismus'“.

AfD-Delegierte wurden gejagt, umzingelt und mussten Spießruten laufen. Von Journalisten wurde in herrisch-drohendem Ton verlangt, sich auszuweisen, bei Zuwiderhandlung wurden auch sie angegriffen. Zwei Polizisten, die im Handgemenge zu Boden gegangen waren, wurden von Aktivisten durch Tritte auf den Kopf so verletzt, dass sie im Krankenhaus behandelt werden mussten.

Dieser teils aggressiven Ratlosigkeit draußen stand eine gelassene Selbstgewissheit in der Halle gegenüber. Man sieht sich auf der Siegerstraße. Kräftiger Mitgliederzuwachs (22.000 in anderthalb Jahren), sprudelnde Finanzen (darunter fast die Hälfte staatliche Parteizuschüsse), allenthalben strahlende Aussichten: „Im Osten“, so verkündete Ko-Sprecher Tino Chrupalla, „muss für uns die Sonne der Regierungsbeteiligung aufgehen.“

Sehnsucht nach Selbstwirksamkeit

Was treibt Leute in die AfD? Es ist nicht nur die Zuwanderung, der Hass auf die Grünen, das Gendern und so weiter. Es geht auch um das, was die Coaches „Selbstwirksamkeit“ nennen: Wahlen, politische Willensbildung sollen wieder etwas ändern können.

Im Foyer findet man auf AfD-Veranstaltungen bunt bedruckte T-Shirts für „Patrioten“ und „White Boys“, Proteine für „Defender“ oder Aufkleber im Comic-Stil: „Maximilian Krah hat nichts Falsches gesagt.“ Bei keiner anderen Partei sieht man so viele Frauen in High Heels und mit Big Hair, Männer in Muskelshirts mit Tattoos bis zum Hals. Die freudige Inszenierung des Geschlechtsunterschieds („Es gibt nur zwei“!) gesellt sich für viele gut zum gefühlten Rebellentum. Männlichkeit, Weiblichkeit: „Deutschland, aber normal“ – bei der CSU haben sie sich sicher geärgert, da nicht vor der AfD drauf gekommen zu sein.

Die AfD verspricht Entlastung von der gefühlten Zumutung, dass inzwischen so viele mehr am bundesrepublikanischen Tisch sitzen, die mitreden wollen. Das Gefühl vom Umsturz – im Osten manchmal als „Vollende die Wende“ intoniert – ist bekanntermaßen ein erregendes Gefühl. Es fühlt sich für viele verwegen und belebend an, eine Lesung mit dem rechtsextremen Vordenker Martin Sellner in einem obskuren Kleingarten in Lichterfelde zu besuchen.

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In vielem erinnert die Lage der AfD jetzt an die der Grünen in den 1980er-Jahren. Auch sie sahen sich als Anti-Systempartei; auch sie hatten so viel kulturelle Hegemonie angehäuft, dass sie längst mitregierten, bevor sie dann tatsächlich politische Verantwortung trugen. Niemand kam mehr am Umweltthema und später am Klima vorbei.

Heute kommt niemand mehr am Migrationsthema vorbei. Die Frage, was man leichter kontrollieren kann – das Klima oder die Zuwanderung – ist an beiden Enden des politischen Spektrums zur Überlebensfrage geworden. Die einen haben Angst vor der Zerstörung der Lebensgrundlagen, die anderen vor der Zerstörung des deutschen, französischen, italienischen Erbes. „Alles brennt lichterloh“, hat Alice Weidel in Essen gesagt, „nichts ist mehr, wie es war.“

Hauptsache Diktatur

Bei keinem Thema aber wird der Abstand zum Geist der wirtschaftsliberalen Gründerväter um Bernd Lucke im Jahr 2013 so deutlich wie in Sachen Außenpolitik. Aus der westlich orientierten EU-Kritik der Frühzeit ist inzwischen das geworden, was man im Kalten Krieg noch die „Fünfte Kolonne Moskaus“ nannte. Das waren Gruppen, meist Kommunisten, die unter der Parole des Antikapitalismus oder der Friedenssicherung in Deutschland die Interessen der Sowjetunion vertraten.

Es geht also nicht nur um Geld – auch wenn das in unzähligen Fällen als unappetitlicher Begleitumstand hinzukommt. Es geht um etwas völlig Legales, aber deshalb nicht minder Gefährliches: die Nähe zum und die Bewunderung für das System Putin. Sie machen es ganz umsonst. Russland ist vielen AfD-Politikern nicht nur Partner – sondern Vorbild.

Dabei reicht der ideologische Spannungsbogen von der romantischen Verklärung eines Bismarck-Verehrers wie Alexander Gauland, in dessen Worten immer noch die Vorstellung aus dem Kaiserreich von der mythischen, unverbildeten, urtümlichen Kraft der russischen Kultur als Gegenpol zu westlicher Dekadenz nachhallt, bis zur Verehrung Russlands als Bollwerk gegen das „Regenbogenimperium“. Gegen „Gayropa“, die „Globalisten“, die „raumfremde Macht USA“, gegen „Abtreibungen bis zum neunten Monat“, Pornofilme im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, gegen die „gesichtslosen Massen von perfekt durchmaterialisierten Konsumfetischisten“ (Björn Höcke).

Es ist auch vor diesem Hintergrund kein Wunder, dass es grade CDU und Grüne sind, die beiden zuverlässigsten Unterstützer der Ukraine, die von der AfD mit so inniger Wut gehasst werden.

Zersplitterte Rechte

In diesem Jahr hat sich vor allem in Brüssel gezeigt, was die Neue Rechte kann – und was sie nicht kann. Ihren enormen europaweiten Stimmenzuwachs kann sie (noch) nicht in Macht umsetzen, weil das Lager dafür zu gespalten ist. Weidel betont im Gespräch immer wieder, dass die Distanzierung ihres großen Vorbilds Marine Le Pen von der AfD zu ihren größten politischen Niederlagen zählt.

In dieser Legislaturperiode muss sich die AfD in Brüssel mit einem „Basket of Deplorables“, einer rechtsextremen Resterampe zufriedengeben. Ihre neue Fraktion, „Europa der Souveränen Nationen“ (ESN), versammelt unter ihrer Führung Parteien wie die polnische „Konfederacja“, deren Gründer letzten Winter in der Sejm auf Chanukka-Kerzen mit dem Feuerlöscher losging.

Ist es politisch erlaubt, ist es klug, sich die Spaltungen innerhalb der äußersten Rechten zunutze zu machen? Oder muss man, wie es SPD und Linken lieber wäre, alles als gleich braun behandeln? Kommissionspräsidentin von der Leyen dürfte ihr Amt jedenfalls auch der latenten Drohung verdanken, notfalls mit Giorgia Meloni Absprachen zu treffen. Mein Plädoyer: kühler Machiavellismus hat da weitergeholfen als die Nazikeule.

Kühlen Kopf bewahren

Aber eins ist jetzt schon sicher. Die nagende Wut darüber, dass die europäische Rechtsprechung, speziell die Europäische Menschenrechtskonvention, es den nationalen Regierungen unmöglich macht, komplett souverän über ihre Zuwanderungspolitik zu entscheiden, wird Folgen haben. Will sagen: Wer gegen die anschwellende Neue Rechte gewinnen will, muss auch Probleme lösen, die er selbst nicht für welche hält.

Und zum Schluss noch ein Wort zur „Normalisierung“. Mario Voigt, dem Thüringer CDU-Vorsitzenden, war vorgeworfen worden, er habe mit seiner Bereitschaft zum TV-Duell mit Höcke dabei geholfen, die AfD zu einer Partei wie alle zu machen. Er hätte also, so muss man das verstehen, bei der Methode Merkel bleiben und die AfD „gar nicht erst ignorieren“ sollen.

Das aber kann sich jemand, dem ein 30-Prozent-Block gegenübersteht, wirklich nicht leisten. Stattdessen hat Voigt, erkennbar kein großer Rhetoriker, Björn Höcke mit sehr einfachen Mitteln schon so unter Zugzwang gebracht, dass der sich gezwungen sah, sowohl vom Begriff „Remigration“ als auch von Passagen seines Buches abzurücken. Mir sind einige Höcke-Fans bekannt, die das ziemlich enttäuscht hat. Sie werden ihn vermutlich trotzdem gewählt haben. Aber die CDU hat das Erlebnis zumindest mental gestärkt.

Es hat die Frauen in Polen gestärkt, dass es nicht zuletzt ihre Stimmen waren, die der PiS den Sieg gekostet haben. Es hat die Mitte in Großbritannien gestärkt, dass Labour die Nerven behalten und sich nicht auf die Aktivisten in den eigenen Reihen eingelassen hat. Mit anderen Worten: Man kann diese Kämpfe gewinnen, auch ohne den apodiktischen Ton der Dreißigerjahre anzuschlagen. 🐾

MARIAM LAU ist Redakteurin im Politikressort der Zeit und beschäftigt sich seit Jahrtausenden mit den Spielarten des Konservatismus.

Dieser Text ist zuerst in unserem Magazin taz FUTURZWEI erschienen. Wenn Sie zukünftig regelmäßig Leser:in von taz FUTURZWEI sein wollen, sichern Sie sich jetzt das Abo für nur 34,90 Euro im Jahr. Lösungen für die Probleme unserer Zeit – alle drei Monate neu in ihrem Briefkasten. Jetzt bestellen.