Margaret Thatcher tritt von der Bühne ab: Die Autokratin gibt das Ruder aus der Hand
■ Die britische Premierministerin Thatcher beugte sich schließlich dem Druck ihres Kabinetts. Als mögliche Nachfolger steigen nun Douglas Hurd, John Major und Michael Heseltine in den Ring.
Es ist eine komische alte Welt.“ Mit diesen Worten gab die britische Premierministerin Margaret Thatcher gestern früh dem Kabinett ihren Rücktritt bekannt. Kurz darauf veröffentlichte sie eine kurze Presseerklärung: „Ich bin zu dem Entschluß gekommen, daß der Einheit der Partei und den Aussichten, die nächsten Parlamentswahlen zu gewinnen, am besten damit gedient ist, wenn ich zurücktrete, um anderen Kandidaten die Möglichkeit zu geben, sich der Wahl zu stellen.“ Thatcher verließ gegen Mittag ihr Büro in der Downing Street durch einen Hintereingang und fuhr zum Buckingham Palast, wo sie Königin Elisabeth offiziell ihren Rücktritt einreichte.
Noch am Mittwoch hatte Thatcher erklärt, daß sie bei der Wahl um die Tory-Führung am nächsten Dienstag „kämpfen und siegen“ werde. Ihr Meinungsumschwung kam dann am Abend in Einzelgesprächen mit ihren Kabinettsmitgliedern. Darin wurde ihr unmißverständlich klargemacht, daß ihre Unterstützung unter den konservativen Abgeordneten immer mehr schwinde. In der Nominierung eines Kandidaten aus ihren eigenen Reihen sahen die Minister die einzige Möglichkeit, den Einzug Michael Heseltines in die Downing Street zu verhindern. Heseltine wird dem „linken“ Parteiflügel zugerechnet. Er tritt für die europäische Wirtschafts- und Währungsunion und eine interventionistische Wirtschaftspolitik sowie für eine weniger gleichgültige Einstellung gegenüber sozial schwachen Bevölkerungsgruppen ein. Seine Kandidatur für den Parteivorsitz gab letztlich den Ausschlag für Thatchers Rücktritt, nachdem er bei der Wahl am vergangenen Dienstag einen Sieg der Premierministerin verhindern und einen zweiten Wahlgang erzwingen konnte.
Thatchers Rücktritt kam nur wenige Stunden vor Ablauf der Frist für die Nominierung neuer Kandidaten. Überraschend ließ sich nicht nur Außenminister Douglas Hurd aufstellen, sondern auch Finanzminister John Major. Hurd wurde schon seit Wochen als aussichtsreichster Kandidat gehandelt, dem es gelingen könnte, die Spaltung der Partei zu überwinden und die Torys zum vierten Wahlsieg in Folge zu führen. Bevor Hurd Außenminister wurde, hatte er im Thatcher-Kabinett die Posten als Nordirland- und Innenminister bekleidet. Er gilt als Pro-Europäer und ruft beim rechten Parteiflügel Mißtrauen hervor. Ein Thatcher- Anhänger: „Hurd ist in Hinblick auf Europa genauso schlimm wie Heseltine.“
John Major dagegen verdankt seinen kometenhaften Aufstieg allein der Premierministerin. Bei der Kabinettsumbildung im vergangenen Jahr ernannte sie ihn zum Außenminister und nach Nigel Lawsons Rücktritt im Winter zum Finanzminister. Dort hatte er seine politische Karriere als Staatssekretär begonnen. Major galt als Wunschkandidat Thatchers für ihre Nachfolge. Viele konservative Abgeordnete halten den 48jährigen jedoch für zu jung, um Premierminister zu werden. Seine Zeit werde in zehn Jahren kommen, glauben viele Torys. Die Kandidatur der beiden Minister erschwert die Aufgabe für Heseltine erheblich. Verschiedene Abgeordnete hatten beim ersten Wahlgang lediglich für ihn gestimmt, um eine Wiederholungswahl und Thatchers Rücktritt zu erzwingen. Es ist unwahrscheinlich, daß ein Kandidat am nächsten Dienstag die erforderliche absolute Mehrheit von 187 Stimmen erreichen wird. In dem Fall wird am darauffolgenden Donnerstag erneut gewählt, wobei die Abgeordneten die Kandidaten in der Reihenfolge ihrer Präferenz numerieren können. Bis zum Abschluß dieses Wahlspektakels wird Thatcher im Amt bleiben.
Bei den Torys herrschte gestern Grabesstimmung. Der Parteivorsitzende der Konservativen, Kenneth Baker, sagte: „Es war die typische mutige und selbstlose Entscheidung. Wieder einmal hat sie die Interessen der Partei und des Landes vor persönliche Erwägungen gestellt. Das erlaubt es uns, die Partei hinter einer neuen Führung zu vereinen und die nächsten Wahlen zu gewinnen.“ Baker fügte hinzu, daß Thatcher die „größte britische Regierungschefin in Friedenszeiten“ gewesen sei: „Eine Frau wie sie gibt es nicht nochmal.“ Michael Heseltine erklärte zum Rücktritt: „Damit geht eine sehr bemerkenswerte Regierungsperiode zu Ende. Sie hat einen außerordentlichen Beitrag zur britischen Geschichte geleistet und dieses Land in den achtziger Jahren mit Auszeichnung geführt.“
Die Reaktionen auf Thatchers Rücktritt zeigen, daß es noch ein weiter Weg bis zur Überwindung der Spaltung bei den Torys ist. Der Hinterbänkler Ivor Stanbrook sagte: „Ich bin sehr erleichtert. Jetzt ist der Weg frei für eine wirklich freie Wahl. Sie hat es als selbstverständlich angenommen, daß sie unersetzlich ist. Das ist sie natürlich nicht.“ Sein Kollege Cyril Townsend fügte hinzu: „Sie hatte die Unterstützung der Fraktion verloren. Ich wünschte, sie wäre früher zurückgetreten, damit sie einen würdevollen Abgang gehabt hätte.“
Die Thatcher-Anhänger konnten sich gestern noch nicht mit ihrem Rücktritt abfinden. Geoffrey Dickens empörte sich: „Erst gewinnt sie drei Wahlen für uns, und dann schmeißen wir sie raus. Wie absurd!“ Bill Cash sagte: „Es ist eine große Tragödie. Vieles war völlig unnötig.“ Eine Tory-Wählerin drückte es drastisch aus: „Sie ist eine große Persönlichkeit. Die Partei hat sie enthauptet und eliminiert.“ Rhodes Boyson, Thatcher-Anhänger der ersten Stunde, sagte: „Ich hoffe, das ist nicht der Tod des Thatcherismus.“
Doch mit Thatchers Rücktritt geht zweifellos eine Ära zu Ende. Kein britischer Premierminister in diesem Jahrhundert hat diesen Posten länger als die „Eiserne Lady“ besetzt. Noch 1973 hatte sie gesagt: „Ich glaube nicht, daß es zu meinen Lebzeiten eine Frau als Premierminister geben wird.“ Zwei Jahre später demütigte sie Edward Heath bei der Wahl um die Tory-Führung. Ihr Sieg wurde als Rechtsruck der Konservativen Partei interpretiert. Bei den Parlamentswahlen 1979 nutzte Thatcher die tiefe Zerstrittenheit der Labour Party aus und wurde zur ersten Premierministerin Großbritanniens. Ihre Kritiker, die sie bei ihrem Amtsantritt für unerfahren hielten, belehrte sie schnell eines besseren: Sie setzte ihre eigenen Entscheidungen auch gegen ihre Kabinettskollegen durch, die im Lauf ihrer Amtszeit scharenweise zurückgetreten oder entlassen worden sind. Diese Kompromißlosigkeit wurde Thatcher nun schließlich zum Verhängnis. Ralf Sotscheck
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