piwik no script img

Manisch germanisch

■ Premiere von "Lutz von Rosenberg Lipinsky" auf Kampnagel

auf Kampnagel

Nicht erst seit den Ereignissen in Rostock und Mölln haben viele Deutsche Probleme mit ihrem Selbstverständnis. „Ich bin deutsch, ich will bestraft werden“, drückt Lutz von Rosenberg Lipinsky dieses innerhalb der intellektuellen Linken verbreitete Gefühl aus. Germanisch depressiv nennt er sein neues Soloprogramm, das am Freitag auf Kampnagel Premiere hatte. Er scheint selbst nicht ganz frei zu sein von dieser Schwermütigkeit. Denn die Programmteile, die sich mit diesem Thema beschäftigen, unterscheiden sich deutlich vom Restprogramm. Am deutschen Wesen leidend peitscht er sich aus, während er Kleinbürgerwünsche bekennt. An dieser Botschaft bleibt er lange kleben, und seine verbitterte Darbietung ist dabei viel mehr Drama als Kabarett.

Aber er kann auch ganz anders. Manisch überschwenglich wird er da, wo er das Germanische verläßt. Mit seiner Parodie über Selbsterfahrungsgruppen verwendet er zwar eine auf Kabarettbühnen schon reichlich strapazierte Idee, erweckt sie jedoch mit doppeldeutigem Sprachwitz zu neuem Leben. Etwa mit einer variantenreichen Reise entlang der Feststellung „Ich werde zum Ich am Du“ oder der Entdeckung des „Es“ in unserer Alltagssprache.

Am stärksten ist von Rosenberg Lipinsky bei seinen Wortergüssen im Überschalltempo. Wenn er sich beispielsweise über das Privatfernsehen ausläßt, kann es passieren, daß der Zuhörer noch über eine Pointe lacht, während schon zwei weitere gefallen sind. Dabei entlockt er banalen Alltagsworten einen zweiten und dritten Boden, entdeckt auch entlegenste Sprachanalogien. Schade, daß er sich immer wieder um den Szenenapplaus bringt, indem er spritzige Passagen mit flachen Schlußpointen auslaufen läßt. Schade auch, daß er am Ende wieder in seine germanische Depression zurückkehrt: „Wo findest du Deutschland? Im Dunkeln.“ Vor lauter Ernst bleibt das Lachen im Halse stecken, bis eine Rap-Zugabe es dort wieder herauskitzelt. Werner Hinzpeter

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen